Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes (2017)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Wacht auf, Verdammte dieser Erde!

Julian Radlmaier, der Regisseur von Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes, spielt in seinem Film einen Regisseur namens Julian – jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen und so weiter. Am liebsten sitzt er auf den Stufen vor dem Kulturforum Berlin und schaut den schönen Mädchen in ihren Sommerkleidern nach. Eigentlich aber wäre er gerne Kommunist. In Wirklichkeit will er vor allem mit der Kanadierin Camille schlafen.

Den Film bei Vimeo schauen

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von Vimeo präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Und weil sein Hartz-IV-Sachbearbeiter ihn dazu zwingt, muss er auf einer Apfelplantage als Erntehelfer arbeiten. Wo die Diskurse um Kommunismus und das Richtige im richtigen Leben sich entfalten. Das Ganze erzählt Julian übrigens in Gestalt eines Hundes – Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes ist seine dffb-Abschlussarbeit: eine grandiose Komödie, die ihr Sozialismus-Sujet absolut ernst nimmt. Und wir geraten voll rein in die kapitalistische Maschinerie, aus der einen nichts herausholen kann, außer vielleicht so etwas wie eine Revolution, aber die muss auch erst einmal zustande gebracht werden.

Die früheren Arbeiten von Regisseur Julian waren viel radikaler; ob der Schritt ins Narrative seinem Œuvre guttut? Das fragt im Film eine Kritikerin im Vorbeigehen und Radikalismus hin oder her: Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes ist auf jeden Fall komisch, sehr, sehr komisch. Und radikal genug im Übrigen auch. Schon die Ästhetik des Films ist, sagen wir, unüblich: popbunt, in 4:3-VHS-Format, ohne Rücksicht auf Wetter-, Licht- oder Blickachse-Anschlüsse zwischen den Bildern. Und wir erleben eine ganze Reihe von Idioten, sprich: Trottel, Unwissende, Naive, freundliche, unfreundliche und heilige Narren. Die Filmbesetzung besteht weitgehend aus Freunden des Regisseurs, unter anderem ein deutsch-koreanischer Rentner (dessen Kinder ebenfalls mitspielen, dessen Tochter den Soundtrack geschrieben und dessen Frau das Catering übernommen hat), ein Schweizer Theologe und Musiker, ein georgischer Dadaist. Die Internationale ist in vielfacher Weise zu hören, auch in billiger Computerspiel-Midi-Version.

Woran kein Zweifel bestehen darf: Dieser Film ist von Grund auf nicht nur antikapitalistisch, sondern auch kommunistisch-utopistisch. Festgemacht wird das an Julian, dem zögernden Möchtegern-Revolutionär, der so viel Angst vor der eigenen Courage hat, dass seine Feigheit vor dem Freund die schlimmsten Folgen zeitigt, für ihn und für andere. Eigentlich will er Camille nur anmachen, lädt sie ein, in seinem nächsten Film mitzuspielen, einem kommunistischen Märchen von der Utopie eines besseren Lebens. Das saugt er sich aus den Fingern, um sie ins Bett zu bekommen. Und seinen zwangsweisen Erntehelfer-Einsatz redet er sich und anderen schön: Er geht auf Recherche zum Proletariat. Camille nimmt das ernst und folgt ihm auf die Plantage „Oklahoma“. Wo Julian jetzt aus romantischen Gründen die Fiktion eines ultrakommunistischen Künstlers aufrechterhalten muss.

Soweit die Handlung. Die aber ist durchsetzt von urkomischen linksdiskursiven Dialogen, von der Zeichnung sehr präziser, irgendwo lachhafter, gleichzeitig vollkommen ernst zu nehmender Charaktere und von der ständigen Möglichkeit, nein, Notwendigkeit einer Revolution. Denn so wie es ist, kann es nicht weitergehen.

Frau Gottfried, die Chefin der „Oklahoma-Familie“, hat eine lustige Ernteolympiade eingeführt: Zweierteams pflücken Äpfel um die Wette, der Gewinner bekommt einen Bonus. Ein Mindestmaß aber muss gepflückt werden, ansonsten droht unbezahlte Nacharbeit. Der Bonus besteht lediglich aus einem 20-Euro-Amazon-Gutschein. Und die Mindestmenge kann beliebig nach oben angepasst werden. So führt der Wettbewerb zum darwinistischen Kampf ums Überleben unter den Arbeitern, von denen fortan jeder nur noch seinen eigenen Vorteil im Blick hat. Und da ist Zurab, der Große und Mächtige, natürlich im Vorteil. Weil er schon den UdSSR-Bolschewismus durchgemacht hat und weiß, wie beide Seiten, das Kollektiv und das Kapital, ticken.

Abends im Schlafcontainer wird Anna Karenina vorgelesen. Irgendwann taucht ein stummer Mönch auf, das ist wahrscheinlich Franz von Assisi. Frau Gottfried stirbt eines sehr grotesken Todes, woraufhin der kommunistischen Utopie nichts mehr im Weg steht außer der Diskussion, wie diese denn nun tatsächlich gestaltet werden soll. Das Ende der Geschichte wird hinausgeschoben, als Regisseur Julian im Film Drehbuchförderung bekommt. Und man kann sich vorstellen, dass dann plötzlich im Filmbudget eine Reise nach Italien drin war, denn dort, dass pfeifen die Spatzen von den Bäumen, hat die kommunistische Revolution schon stattgefunden. Weshalb der Mönch mit Camille und mit Hong, dem Koreaner, und Sancho, dem Schweizer (!), über die Alpen zieht.

Die beiden letzteren übernehmen irgendwann die Hauptrolle des Films von Julian, der dem Kommunismus nun mangels sexueller Befriedigung gar nichts mehr abgewinnen kann. Und Camille findet sich plötzlich als Besucherin der Premiere dieses Films auf dem Filmfestival von Venedig (!) wieder. Wo sich der Regisseur Julian zum Kommunismus und zur Utopie und zur Veränderung und zu Wundern äußert. Noch ist er ein Mensch, kein Hund! Doch die Verwandlung zum hündischen Bourgeois hat schon begonnen.

Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes (2017)

Julian Radlmaier, der Regisseur von „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“, spielt in seinem Film einen Regisseur namens Julian – jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen und so weiter. Am liebsten sitzt er auf den Stufen vor dem Kulturforum Berlin und schaut den schönen Mädchen in ihren Sommerkleidern nach. Eigentlich aber wäre er gerne Kommunist. In Wirklichkeit will er vor allem mit der Kanadierin Camille schlafen.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen