Schumanns Bargespräche

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Dem unbekannten Trinker

Schumann’s American Bar in München ist eine Institution – und der Mann, der sie 1982 gegründet hat, ebenso. Selbst wer sich in München nicht so gut auskennt und die legendäre Bar noch niemals besucht hat, hat dennoch vermutlich mindestens einmal in das Antlitz von Charles Schumann geschaut. Der ist nämlich nicht nur Barbesitzer, sondern auch Autor und Werbeträger für Baldessarini, die Parfüms der Marke Boss, und für Campari und damit endgültig zu einem Gesicht mit hohem Wiedererkennungswert geworden, das einem immer wieder auf Plakatwänden und in Werbeanzeigen begegnete.
Marieke Schroeder, die Schumann vor vielen Jahren während eines Fluges nach New York kennenlernte, wagt mit ihrem Film eine doppelte Annäherung – an den Menschen Schumann einerseits und an die glamouröse Welt der Bars andererseits. Wobei Schumann als Bindeglied und Guide in den Mikrokosmos dieser im besten Fall ganz besonderen Orte fungiert. Das ist einerseits durchaus folgerichtig, weil Karl Georg Schuhmann (so der bürgerliche Name) weltweit höchsten Respekt in der verschworenen Gemeinschaft der Barkeeper und -betreiber genießt. Andererseits ist Schumann nicht unbedingt ein Mann eloquenter Reden, sondern vielmehr ein ruhiger, fast wortkarger Mensch, so dass hier oft die Bilder beredter sind als das gesprochene Wort.

Kaum zu glauben, dass Schumann mittlerweile 76 Jahre alt ist. Noch immer wirkt er, der gut und gerne als Stilvorbild für die Figur des Jeb Gambardella aus Paolo Sorrentinos La grande bellezza — Die große Schönheit dienen könnte, hellwach, hochkonzentriert und topfit. Angesichts des zu vermutenden Lebenswandels und der vielen Nächte, die eindeutig zu kurz waren, eine verblüffende Erkenntnis. Vor allem aber ist Schumann immer noch neugierig, ein Suchender zwischen den Welten, immer auf der Jagd nach guten Drinks und den diversen Berufsgeheimnissen seines Standes – einer, der (so wie jeder gute Barkeeper) weniger ein guter Erzähler als vielmehr ein guter Zuhörer ist.

Die Reise, die Marieke Schroeder gemeinsam mit Charles Schumann unternimmt, führt natürlich in Bars – und es sind beileibe nicht die schlechtesten: Das New Yorker Dead Rabbit, im vergangenen Jahr zur „World’s Best Bar“ gekürt, die Berliner Victoria Bar, die Hemingway Bar in Paris, das Floridita auf Kuba, die High Five Bar in Tokio und die Loos American Bar in Wien sind die vielleicht bekanntesten jener Orte, an denen sich die zurückhaltend-elegante Kamera (geführt von Niv Abootalebi) gemeinsam mit dem Protagonisten am Tresen niederlässt und ein Gespräch beginnt, das von einem Drink garniert wird. Und manchmal – ganz selten und fast beiläufig – kommen die Gespräche, die auf diese Weise entstehen, auch auf Schumann selbst zu sprechen, so dass man zumindest teilweise auch ein wenig über die Biografie und den Werdegang dieses beeindruckenden Mannes erfährt. Gerade genug, um am Ball zu bleiben, aber nicht zu viel, so dass die Aura des Souveränen und Geheimnisvollen, die Schumann umweht, erhalten bleibt. Denn gerade sie, so darf man vermuten, ist ein Teil seines Erfolgsrezeptes.

Ein guter Barkeeper muss eben nicht nur ein Gespür für die Drinks und deren Zutaten haben, sondern vor allem mit viel Menschenkenntnis ausgestattet sein und ein guter Zuhörer sein. Vielleicht gilt ja für ein gutes Bargespräch das gleiche wie für einen idealen Cocktail: Letzterer ist nämlich erst perfekt, wenn es nichts mehr gibt, das man weglassen könnte. Nimmt man sich diese Weisheit zu Herzen, dann beginnt man rückblickend besser zu verstehen, dass Schumanns Bargespräche dem Porträtierten vielleicht doch viel näherkommt, als es zunächst den Anschein hat.

Diese Erkenntnis und die Kunstfertigkeit Marieke Schroeders, die den Zauber der Bars und dieses Gefühl, dass dort manchmal die Zeit stehen zu bleiben scheint, in sich immer wieder verlangsamende Bilder fasst, die beinahe zu Gemälden zu erstarren scheinen, verleihen Schumanns Bargespräche eine Sinnlichkeit, die den Wunsch entstehen lässt, wieder einmal einen solchen Ort aufzusuchen und möglichst lange dort zu verweilen. Wie der ideale Gast in einer Bar zu sein hat, das erfährt man in einer wundervollen kleinen Widmung an den immer noch schmerzlich vermissten Filmkritiker Michael Althen, von dem es an einer Stelle heißt: „Einer der wenigen Menschen, die in die Bar gegangen sind, sich darüber gefreut haben und dabei anspruchslos waren.“ Nehmen wir uns das zu Herzen – ganz gleich, ob in einer Bar oder im wahren Leben jenseits des Tresens.

Schumanns Bargespräche

„Schumann’s American Bar“ in München ist eine Institution – und der Mann, der sie 1982 gegründet hat, ebenso. Selbst wer sich in München nicht so gut auskennt und die legendäre Bar noch niemals besucht hat, hat dennoch vermutlich mindestens einmal in das Antlitz von Charles Schumann geschaut.
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