Schattenzeit

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der lange Weg zurück ins Leben

Sie ist eine vergessene, verdrängte, unterschätzte und totgeschwiegene Krankheit. Und das, obwohl deutschlandweit geschätzte vier Millionen Bundesbürger unter ihr leiden – mit viel Luft nach oben, denn die Dunkelziffer ist vermutlich um einiges höher. Unter den psychischen Erkrankungen ist die Depression die mit Abstand häufigste. Und dennoch verdrängen wir sie gerne, gerät sie allenfalls durch tragische Unglücksfälle wie den Selbstmord des Fußballers Robert Enke in den Fokus des öffentlichen Interesses, um dann rasch wieder beiseite geschoben zu werden. Vielleicht deshalb, weil man dieses drückende Gefühl der Niedergeschlagenheit so schwer greifen kann, weil viele schon einmal das Gefühl einer Depression verspürten.
Olaf, einer der Betroffenen, den Gregor Theus in seinem Film Schattenzeit zeigt, ist äußerlich nicht gerade ein Mensch, mit dem man Depression verbindet. Der ehemals erfolgreiche Boxer ist ein Schrank von einem Kerl. Doch davon, dass er einer war, der es gewohnt war, Tiefschläge einzustecken und trotzdem immer wieder weiterzukämpfen, ist heute nichts mehr zu sehen – im Gegenteil. Zusammengesunken sitzt der Mann da, macht sich klein, findet kaum Worte, um das zu beschreiben, was ihm widerfahren ist. Den Anfang machte ein fremdverschuldeter Unfall, der Olaf das Knie zertrümmerte und ihn den Job kostete. Dann kam die Schlaflosigkeit, die schließlich in die Krankheit mündete. Ein dreiviertel Jahr hing bei ihm im Schlafzimmer ein Seil von der Decke, das seine Frau nicht abmachen durfte, es war sozusagen ein sichtbares Zeichen dafür, worin der letzte Ausweg besteht, wenn es nicht mehr auszuhalten sein sollte.

Maria, die zeitgleich mit Olaf in der Klinik behandelt wurde, ist Studentin und merkte eines Tages, dass es ihr einfach nicht mehr gelang, ein Buch zu lesen. Keine drei Wörter habe sie mehr lesen können und habe sich über dieses plötzliche Unvermögen sehr erschrocken. Eineinhalb Jahre dauerte ihre Traurigkeit, die einher ging mit plötzlichem Weinen und Selbstmordgedanken, bis sie gegen den Willen ihrer Familie die Klinik aufsuchte. Sie spricht gut auf die Behandlung an, ob sie nach deren Ende ihr Studium wieder aufnehmen kann, ist aber noch unklar.

Mona leidet unter einer besonders schweren Form der Depression, sie ist komplett antriebslos, ihrem Gesicht sieht man die Spuren der langen Qual förmlich an, ihre Stimme klingt verwaschen. 64 Elektrokrampftherapien (EKTs) hat sie bereits bekommen, genutzt haben diese Behandlungen, die man bislang vor allem negativ konnotiert aus Filmen wie Einer flog übers Kuckucksnest kennt, allerdings bislang noch nichts. Da auch Medikamente bei ihr keine Besserung bringen, stimmt sie schließlich einer Tiefenhirnstimulation zu; es ist für Mona der letzte Strohhalm, dass es vielleicht doch noch besser werden könnte.

Der Filmemacher Gregor Theus hat drei an Depressionen Erkrankte, die in der Psychiatrie der Berliner Charité behandelt werden, über einen Zeitraum von zwei Jahren begleitet und ist ihnen dabei sehr nahe gekommen, ohne jemals die Distanz zu verlieren. Mit seinen Protagonisten vereinbarte er Handzeichen, die ihm anzeigten, wenn es den Erkrankten zu viel wurde, dann schaltete er die Kamera ab. Trotz der Grautöne und der gedämpften Farbigkeit, die das Stimmungsbild der Patienten wiedergeben, spürt man vor allem in den persönlichen Gesprächen die Nähe und das Vertrauen, das Olaf, Maria und Mona zu dem Filmemacher im Lauf der Zeit aufbauten. Alleine das ist schon eine beachtliche Leistung, die selbst die behandelnden Ärzte bewegt.

Schattenzeit schildert den alltäglichen Kampf gegen den Feind im Inneren, zeigt Behandlungsweisen und macht auf einfühlsame Weise klar, welche Höllenqualen die Betroffenen oft über einen langen Zeitraum erleiden müssen. Zugleich aber gibt sein Film Schattenzeit Hoffnung, dass ein Leben mit Depressionen möglich ist.

Am Ende erfahren wir, dass es heute allen Patienten besser geht. Man wünscht sich, dass das möglichst lange so bleiben möge.

Schattenzeit

Sie ist eine vergessene, verdrängte, unterschätzte und totgeschwiegene Krankheit. Und das, obwohl deutschlandweit geschätzte vier Millionen Bundesbürger unter ihr leiden – mit viel Luft nach oben, denn die Dunkelziffer ist vermutlich um einiges höher.
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Meinungen

Cora Z. · 12.01.2011

Unglaublich eindrucksvolle und mark-durchdringende Doku, die noch Stunden danach auf mich gewirkt hat.
WEITER SO! Ich freue mich auf das nächste Projekt.

walter thiel · 16.11.2010

so muß eine doku sein unaufdringlich und doch nah am menschen

Sven F. · 10.11.2010

Das gabs schon mal besser!!!! Viel besser!!!!!

Jürgen Heeschen · 07.10.2010

gut