Samsara

Eine Filmkritik von Melanie Hoffmann

Meisterwerk mit langem Nachhall

Eine asiatische Tänzerin reißt ihre Augen weit auf. Sie macht ein paar Schritte, dreht sich, guckt erneut in die Kamera. Direkt in die Augen des Zuschauers. Der unwillkürlich ein bisschen lachen muss. Weitere Tänzerinnen folgen und tun es der ersten gleich. Schnitt. Es steigt Rauch auf, er kommt aus einem Krater. Ein Vulkan, ein Schwefelfeld? Der Nebel lichtet sich und die karge Schönheit einer steinigen Landschaft offenbart sich. Die Kamera nimmt sich die Zeit, alles darf in Ruhe betrachtet werden. Es folgen weitere Landschaftsaufnahmen, es wird grüner, Artefakte alter Kulturen in überwucherndem Dschungel …
Für wen sich das schon langweilig liest, der sollte sich Samsara besser nicht in voller Länge ansehen. Wer Ron Fricke und Mark Magidson kennt, weiß ihren Film schon vorher einzuordnen. Einen wirklich repräsentativen Eindruck vermittelt natürlich der Trailer. Der letzte Film der beiden ist der von Kennern sehr geschätzte Baraka. Wie dieser ist auch Samsara ohne Plot, ohne Darsteller, ohne Dialoge, auch auf einen begleitenden Off-Sprecher verzichtet der Film ganz bewusst. Das Konzept des Films sieht die Assoziation jedes einzelnen Zuschauers mit den Bildern als weitere Zutat vor. Und natürlich tun die Filmemacher alles, dass diese Assoziationen nicht willkürlich sind, auch sind die Bilder nicht willkürlich angeordnet. Alles folgt einer Komposition, natürlich auch von passender und überdies ganz wundervoller Musik begleitet.

Ob nun die Musik, die Bildkomposition oder die Mischung die Assoziationen manipuliert, bleibt dem Zuschauer überlassen. Schließlich ist man ja mit seinen Gedanken zunächst allein. Nach dem Film sind sicherlich lange Gespräche möglich. Während des Films war es im Kino auffallend ruhig. Selten war ich in einem so vollen Kinosaal, in dem es regelrecht konzentriert zuging. Fast mochte man meinen, hielten einige den Atem an, um nur ja nichts zu verpassen.

Die atemberaubenden Bilder sind aus den verschiedensten Bereichen der Welt, Fricke und sein Team haben 24 Länder bereist. Neben Naturphänomenen, archäologischen Wunderwerken, ganz unterschiedlichen Tänzern, Individuen und Menschenmassen finden auch immer wieder Bilder der Auswüchse unserer modernen Welt ihren Platz. Fabriken von innen, egal, was dort produziert wird, haben ihre ganz eigene Bildästhetik und Ron Fricke fängt sie kongenial und unkommentiert ein. Immer wieder werden Kontraste geschaffen, nicht unmittelbar, sondern subtiler, einige Minuten später. Der Sog in den Film vergrößert sich so nur noch, man erfährt am eigenen Leib, dass das Plakat nicht lügt, wenn es einem „atemberaubende“ Bilder verspricht.

Die hohe Qualität der Bilder tut ihr übriges. Ron Fricke begann seine Karriere mit Koyaanisqatsi — ebenfalls eine bilddokumentarische Collage. Dass man das noch besser, überwältigender machen könne, ahnte er wohl bereits. Für Baraka konnte er die Mittel beschaffen, das ganze Projekt auf 65mm Negativ-Material zu drehen und den Film schließlich auf 70mm in die Kinos zu bringen. Etwas überholt heutzutage? Für Samsara entschieden sich Fricke und Produzent Mark Magidson, zwar alles auf 65mm-Material zu filmen, also das (nach wie vor) höchst auflösende System zu wählen, um die Bilder einzufangen. Für die Weiterverarbeitung in Schnitt und Vertrieb wurde das Negativ mit 8k Auflösung abgetastet und kommt nun (in Kinos mit entsprechenden Möglichkeiten) in gestochen scharfem 4k und digitaler Brillanz auf die Leinwand. Die langsamen Kameraschwenks sorgen dafür, dass die Bilder auch die Chance haben, scharf zu sein. Und ja, sie sind es wirklich. Allein für Fans überlebensgroßer Bilder kann man dieses Kinoerlebnis nur empfehlen.

Das einzige Wort, das uns der Film hinterlässt, ist zugleich sein Titel: Samsara. Schlagen wir es nach, erfahren wir, dass es aus dem Sanskrit kommt und „beständiger Wandel“ heißt. Ja, unsere Welt ist in einem beständigen Wandel. In welche Richtung sich der Wandel wendet, liegt an uns. Letztlich ist der Film ein Appell an ein Leben im Einklang mit dem Rhythmus der Erde. Ein Meisterwerk mit langem Nachhall.

Samsara

Eine asiatische Tänzerin reißt ihre Augen weit auf. Sie macht ein paar Schritte, dreht sich, guckt erneut in die Kamera. Direkt in die Augen des Zuschauers. Der unwillkürlich ein bisschen lachen muss. Weitere Tänzerinnen folgen und tun es der ersten gleich. Schnitt. Es steigt Rauch auf, er kommt aus einem Krater. Ein Vulkan, ein Schwefelfeld? Der Nebel lichtet sich und die karge Schönheit einer steinigen Landschaft offenbart sich.
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