Road to Guantanamo

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Destination Hölle

Bad Timing könnte man das nennen, was den drei halbwüchsigen, muslimischen Briten Asif, Ruhel und Shafiq passierte, als sie im Herbst 2001 zu einer Hochzeit nach Pakistan reisten und erst im März 2004 in das englische Kaff Tipton zurückkehren durften. Good Timing hingegen ist, dass Michael Winterbottoms neuer Film Road to Guantanamo fast zeitgleich zum 5. Jahrestag der Anschläge vom 11. September in die deutschen Kinos kommt. Deutsche Premiere feierte der Film bereits auf der diesjährigen Berlinale, auf der Winterbottom dafür mit dem Silbernen Bären honoriert wurde.
Wie der Titel schon verlauten lässt, geht es hier partiell um einen Roadmovie, eine holprige, brutale an In this World erinnerte Reise beginnend im pakistanischen Karachi über die afghanische Grenze nach Kandahar, Kabul und Kundus. Ein Imam fordert die drei Jungs während ihres Gebets in einer Moschee auf, als freiwillige Helfer nach Afghanistan zu reisen. Doch was als nachbarliche humanitäre Hilfe geplant ist, endet in der Hölle. Denn unmittelbar nach den Anschlägen des 11. September halten sie sich in einem Land auf, gegen das Präsident Bush einen weltweiten „Krieg gegen den Terrorismus“ proklamiert hat. Als die „Tipton Three“ in Afghanistan einfahren, fallen in der Ferne dort die ersten US-Bomben. Der „point of no return“ ist erreicht, nach ziellosen Irrfahrten landen sie in einer nördlichen Taliban-Hochburg mit der Konsequenz, von den Truppen der Nordallianz gefangen und den verbündeten US-Streitkräften übergeben zu werden. Es folgt eine Tour de Force, auf der sie von verunreinigtem Trinkwasser schwer erkranken, von den Soldaten eingesperrt und gedemütigt werden. Das war aber erst der Anfang, das Schlimmste erwartet sie in den Freilicht-Käfigzellen und Metallcontainern von Guantanamo.

Dort angekommen, geht die tragische Reise ins Ungewisse in ein harsches Gefängnisdrama über. Das allseits scharf kritisierte Hochsicherheitsgefängnis mit seinen umstrittenen Verhör- und Foltermethoden wird zwei Jahre lang zur vorerst letzten Destination der „Tipton Three“. Sie werden beschuldigt, gefährliche Terroristen zu sein, die vom FBI auf einem Video mit 9/11-Drahtzieher Osama Bin Laden und Mohammed Atta identifiziert wurden. Den Mutmaßungen folgen grausame Verhöre, physische und psychische Folterungen, erniedrigende Misshandlungen. Winterbottom schöpft aus dem Vollen. Das geht für die drei Jungs solange, bis bekannt wird, dass zur fraglichen Zeit der Videoaufnahme Shafiq in einem Elektronik-Fachmarkt jobbte und Asif und Ruhel in Tipton Bewährungsauflagen erfüllten. Sie werden endlich wieder frei gelassen. Unschuldig angeklagt, aber ein Verfahren ohne Anklage, das schließlich eingestellt wird. Das ist die unfassbare, aber wahre Geschichte der „Tipton Three“, die uns Winterbottom aus deren Perspektive in Road to Guantanamo erzählt.

Als über das Schicksal der drei Jungs in den britischen Nachrichten berichtet wurde, war Winterbottoms Interesse schnell geweckt. Zusammen mit seinem Ko-Regisseur Mat Whitecross setze er sich mit den jungen Briten und deren Anwalt in Verbindung und konnte bei ersten Treffen schnell deren Einverständnis für die Idee des Films gewinnen. Es folgten Hunderte von Gesprächen, festgehalten in 650 Interviewseiten als Ausgangspunkt für die Dreharbeiten in Afganisthan, Pakistan und Iran. Für die Tipton Three wurden drei junge, Kamera unerfahrene Darsteller mit ähnlichem Hintergrund gecastet. Die Maßgabe war, das Geschehene so authentisch wie möglich nachzustellen. Als Kontrast zu den gespielten Szenen reicherte Winterbottom den Film — wie auch schon in seinem Kriegsfilm Welcome to Sarajevo – mit echtem Nachrichtenmaterial an und sorgt so für eine zügige Erzählweise und zweite Perspektive. Die eigenen Kamerabilder von Stamm-Kameramann Marcel Zyskind vermischt mit den Bildern der amerikanischen „embedded journalists“. Auch die echten „Tipton Three“ lässt Winterbottom in Interview-Sequenzen zu Wort kommen. Da sitzen sie in behaglicher Studioatmosphäre während ihre schauspielernden Counterparts Blut und Wasser schwitzen. Da sehen wir einerseits ein vermeintlich gefährliches Terroristen-Trio und in den darauf folgenden Bildern drei ganz normale britische „Lads“, Typen, die im multikulturellen England schon längst das Straßenbild von heute prägen. Winterbottom erzählt mit seinem neuen Film Road to Guantanamo eine Geschichte von drei normalen Teenagern. Gleichzeitig klagt und prangert er ein Thema an, das ohnehin schon Gegenstand von scharfer Kritik ist. Doch Winterbottom macht kein Hollywood-Kino, er drückt nicht auf die Tränendrüse, er produziert und erzählt nicht in der Manier eines Big-Budget-Blockbusters, der den Zuschauer emotional kalt lässt. Winterbottom rüttelt auf. Mit seinem stilsicheren Händchen bringt er uns weltrelevante Themen nahe und lässt überbordende Effekthascherei und Heldentum völlig außen vor. Das ist sehenswertes Polit-Kino!

Road to Guantanamo

Bad Timing könnte man das nennen, was den drei halbwüchsigen, muslimischen Briten Asif, Ruhel und Shafiq passierte, als sie im Herbst 2001 zu einer Hochzeit nach Pakistan reisten und erst im März 2004 in das englische Kaff Tipton zurückkehren durften.
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Meinungen

· 17.09.2006

war schon in berlin völlig überbewertet. ein gute tv-docu tuts auch. eigentlich kein kinofilm.

Gast 2 · 03.10.2006

Mag sein, dass es "eine gute TV-Doku auch tut", dennoch emfinde ich es nicht als falsch, Filme wie diesen im Kino zu präsentieren. Im Gegenteil. Definiere doch bitte den Begriff Kinofilm. Ich persönlich wünsche mir mehr davon auf internationalen Kino-Leinwänden--dem sonst so seichten und verdummenden Unterhaltungscinema zum Trotze!!!