Ricky - Normal war gestern

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Bruderzwist im "Wilden Osten"

Herzfeld, ein kleines Dorf irgendwo in Thüringen – das ist die Heimat des zehnjährigen Ricky (Rafael Kaul), der hier zusammen mit seinem fünf Jahre älteren Bruder Micha (Jordan Elliot Dwyer) und seinen Eltern Marie (Petra Kleinert) und Hans (László I. Kish) lebt. Weil die Tischlerei, die der Familien den Lebensunterhalt in der eher strukturschwachen Gegend sichern soll, nicht so gut läuft, ist die Stimmung angespannt. Und dass Rickys Bruder die Schule abgebrochen hat und keinerlei Ambitionen zeigt, selbst die Initiative zu ergreifen, macht die Situation auch nicht gerade leichter. Auch zwischen den beiden Brüdern herrscht nicht gerade Harmonie. Den Älteren nervt „der Kleine“, der sich doch nichts sehnlicher wünscht, als von seinem Idol respektiert zu werden. Weil Micha vor seinen Kumpels den Coolen spielen muss, wird Ricky herumgeschubst und landet schließlich sogar im Dorfteich.
Das Verhältnis zwischen Ricky und seinem großen Bruder ändert sich erst, als die 13-jährige Alex (Merle Juschka) mit ihrer Mutter Leila (Clelia Sarto) und der nur auf den ersten Blick Furcht einflößenden Dogge Loco in das Dorf zieht und Michas Interesse (an dem Mädchen natürlich) erwacht. Weil sein kleiner Bruder offensichtlich ganz gut kann mit der Fremden, muss er nun also für ihn spionieren und erhält dafür dessen persönlichen Schutz vor Michas Freunden. Dumm nur, dass sich Ricky mit Alex wirklich gut versteht. Und bald schon steht er vor der Frage, ob er diesen verwirrenden neuen Gefühlen ihren Lauf lassen soll und ob er damit seinen Bruder nicht verrät, dem doch offensichtlich ebenfalls einiges an Alex liegt. Und so spitzen sich nicht nur die Gefühle, sondern auch die familiäre und die finanzielle Lage immer weiter zu, bis Ricky schließlich zeigen muss, was wirklich für ein Kämpfer in ihm steckt.

Auch wenn der Titel das Gegenteil behauptet: In gewisser Weise gleichen die Probleme Rickys und seines Bruders denen anderer Kinder bzw. Jugendlicher weitgehend, wenngleich hier die dramaturgische Verdichtung das Dilemma als enorm vielschichtig und komplex erscheinen lässt. Finanzielle Sorgen der Eltern, die schwierige Pubertät der bisherigen Bezugsperson Micha und die Vorboten der eigenen Adoleszenz, dazu – so deutet es der Film zumindest an – keine richtigen Freunde, weil das Dorf bis auf den wenig sympathisch dargestellten Vogelkundler Simon beinahe ausgestorben wirkt – die Probleme, mit denen sich Ricky herumzuschlagen hat, sind enorm und laden an der einen oder anderen Stelle sicherlich zur Identifikation ein. Andererseits aber sorgt gerade die hohe Dichte von Problemen dafür, dass es dem Zuschauer fast so ergeht wie Ricky selbst – er verliert im Gestrüpp der angerissenen Problemfelder ein wenig den Überblick.

Verstärkt wird dies durch plötzliche Gefühlsumschwünge, die für den Zuschauer oft ein wenig unvermittelt und unmotiviert daherkommen. Wie schnell beispielsweise Alex ihre anfängliche Ablehnung gegenüber dem drei Jahre jüngeren Ricky abgelegt und sich zwischen den beiden eine ganz besondere Freundschaft entwickelt ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die Annäherung zwischen Micha und der „Nervensäge“, die kaum allein aus dem Spionagepakt abzuleiten ist. Schade ist auch, dass Rickys einziger Freund Simon (Paul Maximilian Schüller) mit seinen Marotten und seiner lächerlichen Nerd-Kleidung zu einer reinen Karikatur degradiert wird, ohne dass sich der Film für diesen Charakter interessieren würde – bis auf ein paar Stichworte und dramaturgisch benötigte Handreichungen bleibt der Junge ebenso blass wie seine Gesichtsfarbe.

Spannung und Witz bekommt der Film vor allem durch die sympathische Grundidee, Anleihen an Western-Motiven zu nehmen. Das beginnt mit der Filmmusik, die sich manchmal zu sehr in den Vordergrund drängt, setzt sich fort über die Landschaftspanoramen und lässt sich sogar in den Figuren beobachten. Wenn Micha mit seinen beiden stets dunkel gekleideten Freunden auf ihren Mofas in das Dorf reitet, fühlt man sich gleich an eine finstere Bande erinnert, die in diesem Fall nicht die Bank des Ortes, sondern nur den Supermarkt ausnimmt. Statt aufgeregter Zeitgeist-Hipness bestimmt hier eher eine überwiegend freundliche Nostalgie das Geschehen — das immerhin lässt Ricky — Normal war gestern innerhalb der Kinderfilme der letzten Jahre als absolute Ausnahme erscheinen. Allerdings macht das aus einem durchaus unterhaltsamen Film leider noch keinen guten.

Neben den Schwächen des Drehbuchs und der Figurenzeichnung sind es aber auch die darstellerischen Leistungen, die nur teilweise überzeugen können. Während Rafael Kaul in der Titelrolle und Petra Kleinert (bekannt aus Die Friseuse von Doris Dörrie) als Mutter gut agieren, bieten sich den anderen Darstellern aufgrund ihrer Rolle und den schnellen Gefühlsumschwüngen kaum Gelegenheiten, sich gekonnt in Szene zu setzen. Darunter leidet nicht nur das Gleichgewicht zwischen dem Ensemble, sondern auch die gesamte Balance des Filmes, der trotz mancher interessanter Ansätze keinen im positiven Sinne bleibenden Eindruck hinterlässt.

Ricky - Normal war gestern

Herzfeld, ein kleines Dorf irgendwo in Thüringen – das ist die Heimat des zehnjährigen Ricky (Rafael Kaul), der hier zusammen mit seinem fünf Jahre älteren Bruder Micha (Jordan Elliot Dwyer) und seinen Eltern Marie (Petra Kleinert) und Hans (László I. Kish) lebt. Weil die Tischlerei, die der Familien den Lebensunterhalt in der eher strukturschwachen Gegend sichern soll, nicht so gut läuft, ist die Stimmung angespannt.
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