Red Road

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Augen von Glasgow

Dieser Film ist genauso außergewöhnlich wie das Konzept, aus dem Red Road entstand: Drei Filmemacher drehen unabhängig voneinander drei Filme, deren identische Figuren mit den gleichen Schauspielern besetzt sind. Außerdem, so verlangt es das Regelwerk – spielen alle drei Filme in Schottland und sind genau gleich lang. Es verwundert wenig, dass sich hinter dieser reizvollen Ausgangslage wieder einmal Lars von Trier verbirgt, dessen findiger Geist immer wieder neue Formen des Filmemachens entwickelt – von Dogma 95 über sein filmisches Experiment The Five Obstructions bis hin zu seinem neuesten Streich The Boss of it all, bei dem ein Zufallsgenerator die Kameraeinstellungen als Diktum vorgibt. Mitstreiter für dieses neue Projekt mit dem Namen „Advance Party“ sind neben Lars von Trier die Filmemacherin Lone Scherfig (Wilbur Wants to Kill Himself) und der Drehbuchautor Anders Thomas Jensen (Adams Äpfel /Adams Aebler), die gemeinsam das Figurenensemble entwickelten. Neben Andrea Arnold, die 2005 für ihren Kurzfilm Wasp den Oscar gewann, werden die weiteren Filme des Triptychons von Morag McKinnon und Mikkel Noergaard gedreht werden.
Andrea Arnolds Film nimmt eine ungewöhnliche Perspektive ein. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Im Zentrum des Plots steht Jackie (Kate Dickie), die als Angestellte des Überwachungsunternehmens „City Eye Control“ Herrin über eine ganze Wand von Monitoren ist, die das zeigen, was sich draußen auf den Straßen des ärmlichen Viertels von Glasgow abspielt. Der Job ist pure Routine, sie zeichnet die Bilder auf, die von Überwachungskameras festgehalten werden, archiviert die Kassetten und fährt dann abends nach Hause in ihre karge Wohnung. Wenn wirklich mal etwas Aufregendes passiert, verständigt Jackie die Polizei, die sich dann um den Vorfall kümmert – das war’s. Das ändert sich erst, als Jackie auf einem ihrer Bildschirme einen Mann entdeckt, den sie zu kennen glaubt und mit dem sie ein düsteres Geheimnis verbindet – Clyde (Tony Curran). Sie durchbricht die Routine, heftet sich dem Mann an die Fersen und erst im Laufe des Films wird klar, was die beiden aneinanderkettet. Es ist Katies Wunsch nach Rache für das, was Clyde ihr angetan hat.

Obwohl in diesem Film wenig gesprochen und außer Alltäglichem kaum etwas gezeigt wird, vermittelt Red Road ein permanentes Gefühl der Anspannung und Bedrohung, die sich gegen Ende hin zu einem peinigenden Gefühl des Unbehagens steigert. Mit reduzierter Bildsprache, einer ruhigen, manchmal beinahe zerdehnten Montage und einer eigentlich recht einfachen Story versteht es Andrea Arnold in ihrem Spielfilmdebüt sehr effizient, Stimmungen zu erzeugen, mit diesen zu jonglieren und den Zuschauer mehrfach auf eine falsche Fährte zu locken. Erst nach und nach entfaltet sich die ganze Geschichte vor den Augen des Publikums, das unmerklich mit in die Rolle eines Voyeurs hineingezogen wird. Und die grobkörnigen, geisterhaften Bilder der Überwachungskameras steigern diese Gefühle noch und verdeutlichen, dass Sehen allein nicht entscheidend ist. Man muss auch dazu in der Lage sein, die Bilder zu verstehen und richtig zu interpretieren. Denn der Schein – zumal der Augenschein – trügt manchmal.

Red Road ist ein stiller, in einigen Momenten beinahe meditativ anmutender Thriller, der mit seinem Gefühl der permanenten Bedrohung und dem Thema der Medialität durchaus an Michael Hanekes Filme erinnert und der zugleich in der Tradition des britischen Sozialdramas à la Ken Loach und Mike Leigh steht.

Bei den Filmfestspielen von Cannes wurde der Film im Jahre 2006 mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet – möglicherweise ist dies das Startsignal für eine große Filmkarriere, an deren Anfang Andrea Arnold gerade erst steht. Wer weiß, vielleicht gelingt es Morag McKinnon und Mikkel Noergaard mit den beiden weiteren Beiträgen zu „Advance Party“ ja ebenfalls, eine Talentprobe dieser Güte zu liefern. Lars von Trier als Initiator der Reihe erweist sich mit seiner Idee einmal mehr als Impulsgeber und Talentscout erster Güte.

Red Road

Dieser Film ist genauso außergewöhnlich wie das Konzept, aus dem Red Road entstand: Drei Filmemacher drehen unabhängig voneinander drei Filme, deren identische Figuren mit den gleichen Schauspielern besetzt sind.
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