Raum (2015)

Eine Filmkritik von Jean Mikhail

"Gute Nacht, Spülbecken"

Im Jahre 2008 machte der Fall von Josef Fritzl die Weltöffentlichkeit sprachlos: Über zwei Jahrzehnte sperrte er seine Tochter Elisabeth im Keller des Familienhauses ein. Nach endlosen Vergewaltigungen gebar sie in dieser Zeit insgesamt sieben Kinder, vier lebten von Geburt an mit ihr in Gefangenschaft. Basierend auf dem durch den Fritzl-Fall inspirierten Bestseller-Roman Room von Emma Donaghue hat Lenny Abrahamson (Frank) einen zutiefst menschlichen, spannenden und berührenden Film kreiert.

Anders als bei den Fritzls sind in Raum nicht mehrere Kinder mit ihrer Mutter eingesperrt, vielmehr teilen sich seit fünf Jahren die Mittzwanzigerin Joy (Brie Larson) und ihr in Gefangenschaft geborener Sohn Jack (Jacob Tremblay) eine elf Quadratmeter kleine Gartenlaube. Im Fokus der von Donaghue selbst zu einem Drehbuch adaptierten Geschichte steht dabei die Frage, wie ein solches Leben eigentlich ein Kind prägt, welches seit Beginn seines Lebens nichts anderes kennt als das Dachfenster, das Bett, den Fernseher, die Spüle, die Lampe, den Schrank – und vor allem seine Mutter. In Jacks Weltbild gibt es nur den einen „Room“ mit allem was darin ist, alles andere ist imaginäre Fernsehwelt. Regelmäßig läuft es Jack und Joy eiskalt den Rücken herunter, wenn an der Tür plötzlich die Geräusche des elektronischen Nummernschlosses zu hören sind und kurz darauf der Entführer, den sie nur „Old Nick“ nennen, den Raum betritt. Für Jack und den Zuschauer bedeutet dies: Ab in den Schrank. Denn Abrahamson erzählt die Geschichte konsequent aus der Perspektive des kleinen Jungen. Wir sehen und hören nur, was auch er wahrnimmt, wissen diese Dinge aber natürlich besser einzuordnen.

Joy heißt für Jack in erster Linie „Ma“. Sie lässt alles über sich ergehen und zieht ihre Lebensenergie zum allergrößten Teil aus ihrer Mutterliebe und ihrem Beschützerinstinkt. Jack soll es in dieser misslichen Lage an nichts fehlen, er soll so wenig wie nötig leiden – und mit der Zeit wird er zum möglichen Schlüssel in die Freiheit. Auch wenn es in Raum zeitweise um den wirklich spannenden Versuch einer Flucht geht, so steht doch die Mutter-Kind-Beziehung im Vordergrund des Films. Brie Larson etabliert sich dabei nach ihrer beeindruckenden Hauptrolle in Short Term 12 als hervorragende und tiefgründige Charakterdarstellerin. Als „Ma“ liefert sie eine Tour de Force ab und verkörpert mit viel Emotion, aber auch der nötigen Kontrolliertheit eine mutige, selbst traumatisierte und verletzliche junge Frau. „Ma“ ist voller Liebe und Aufopferung, bleibt aber am Ende auch ein fehlbarer Mensch, dem sieben Jahre Freiheit genommen wurden und der nicht immer die richtigen Entscheidungen treffen kann. Diese durch Larsons Spiel veredelte, pointierte und facettenreiche Charakterzeichnung machen die Geschichte und ihre Dynamiken besonders realistisch und nachfühlbar. Auch Jacob Tremblay entpuppt sich als absolute Entdeckung: Mit nur neun Jahren verkörpert der junge Kanadier Jacks Ängste, Verwirrungen und kindliche Naivität mit beeindruckender Deutlichkeit.

Abrahamson ist mit Raum ein großartiger Film gelungen, der nicht ohne Grund den Publikumspreis des Toronto International Film Festival gewonnen und bei den Oscars 2016 für die beste weibliche Hauptrolle ausgezeichnet wurde. Packend und intensiv gespielt und ohne unnötige Effekthascherei zu Tränen rührend, ist Raum ein intimes Drama ohne Längen, mit viel psychologischer Tiefe und dem Vertrauen auf die Kraft der engen Beziehung zwischen Mutter und Sohn, welche der Kälte einer Entführung und eines Lebens in einer Gartenlaube eine große Menge menschlicher Wärme entgegensetzt.
 

Raum (2015)

Im Jahre 2008 machte der Fall von Josef Fritzl die Weltöffentlichkeit sprachlos: Über zwei Jahrzehnte sperrte er seine Tochter Elisabeth im Keller des Familienhauses ein. Nach endlosen Vergewaltigungen gebar sie in dieser Zeit insgesamt sieben Kinder, vier lebten von Geburt an mit ihr in Gefangenschaft. Basierend auf dem durch den Fritzl-Fall inspirierten Bestseller-Roman „Room“ von Emma Donaghue hat Lenny Abrahamson („Frank“) einen zutiefst menschlichen, spannenden und berührenden Film kreiert.

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Meinungen

Redaktion · 04.11.2015

Ja: 17.03.2016

Maria Bessert · 04.11.2015

Gibt es für diesen Film schon einen dt Starttermin?