Polina, danser sa vie

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Tanze dein Leben!

In Polina setzt die Filmemacherin Valérie Müller gemeinsam mit dem Tänzer und Choreografen Angelin Preljocaj die Coming-of-Age-Geschichte einer Tänzerin in Szene. Das von Müller verfasste Drehbuch basiert auf der gleichnamigen, 2011 veröffentlichten Graphic Novel von Bastien Vivès. Sowohl die gezeichnete Vorlage als auch deren Adaption sind mehr als nur konventionelle Erzählungen über einen beruflichen Aufstieg: Beiden gelingt es – mit ihren eigenen Mitteln und unterschiedlichen Schwerpunkten –, die Begeisterung für den Tanz, für den körperlichen Ausdruck sowie für die Sinnlichkeit von Bewegungen begreiflich und spürbar zu machen.
Die Handlung beginnt in Russland, am industriellen Stadtrand von Moskau, wo die achtjährige Polina (Veronika Zhovnytska) mit ihrer Mutter (Kseniya Kutepova) und ihrem Vater (Miglen Mirtchev) in bescheidenen Verhältnissen lebt. Der Balletttanz soll dem Mädchen ein besseres Dasein ermöglichen – und tatsächlich wird Polina in einer renommierten Schule aufgenommen, in welcher sie auf den strengen Lehrer Bojinski (Aleksey Guskov) trifft. Als Jugendliche (nun verkörpert von Anastasia Shevtsova) gelangt sie in die Ballettkompanie am Moskauer Bolschoi-Theater und verliebt sich dort in den jungen Franzosen Adrien (Niels Schneider), dem sie in sein Heimatland nach Aix-en-Provence folgt. Durch die Tanzlehrerin Liria Elsaj (Juliette Binoche) lernt Polina modernere Einflüsse kennen; nach einer Verletzung und diversen Konflikten kommt es jedoch zum Bruch mit Adrien und Liria. In Antwerpen nimmt Polina einen Job in einer Bar an, um Geld zu verdienen – und beschließt, fortan keine Choreografien mehr nachzutanzen, sondern ihren eigenen Blick auf die Welt im Tanz zu vermitteln. Zu ihrem Partner wird dabei der Tänzer Karl (Jérémie Bélingard), mit dem sie an einem Festival teilnehmen will.

Es gibt zahlreiche schöne Sequenzen in Polina – so etwa schon in der Kindheitsepisode, in welcher man sieht, wie das Mädchen auf dem Weg zwischen Schule und Zuhause in tänzerischen Bewegungen zu einer Unbekümmertheit findet, die weder im streng reglementierten Unterricht noch in der elterlichen Wohnung möglich erscheint. Polinas Vater ist in kriminelle Machenschaften verwickelt, wodurch die Familie alsbald in Gefahr gerät. Dieser Nebenstrang zählt indes eher zu den schwächeren Momenten des Films, da er zu sehr an der Oberfläche bleibt. Stark ist das Werk vor allem dann, wenn es sich der Leidenschaft gänzlich hingibt oder dieser in den Worten, Gesichtern und Gesten der Figuren nachspürt: Wenn Juliette Binoche als kreative Lehrerin mit ihrer jungen Schülerin über das Tanzen spricht, wenn sie Polina bei der Erarbeitung eines künstlerischen Ausdrucks zusieht und darauf reagiert, wird man als Zuschauer_in in diesen Kosmos integriert und hineingezogen. Die Schauspieldebütantin Anastasia Shevtsova wirkt gelegentlich eine Spur zu kühl, schafft es aber insgesamt dennoch, dass man der Protagonistin auf sämtliche Umwege und durch alle Komplikationen hindurch folgt.

Wie Polina in Antwerpen an allen erdenklichen Orten und in den unterschiedlichsten Bewegungen Inspiration für ihren Tanz entdeckt und wie sie gemeinsam mit Karl im Proberaum etwas ganz Eigenes entwickelt, wird von Müller und Preljocaj berauschend präsentiert. Am eindrücklichsten ist eine Passage, die sogar den Vergleich mit klassischen Hollywood-Einlagen aus Fred-Astaire-und-Ginger-Rogers-Filmmusicals nicht zu scheuen braucht: Polina und Karl lassen sich darin zu einem spontanen Tanz am städtischen Hafen hinreißen – und lassen uns zugleich den Drang nach Freiheit erkennen, der sich darin Bahn zu brechen versucht.

Polina, danser sa vie

In „Polina“ setzt die Filmemacherin Valérie Müller gemeinsam mit dem Tänzer und Choreografen Angelin Preljocaj die Coming-of-Age-Geschichte einer Tänzerin in Szene. Das von Müller verfasste Drehbuch basiert auf der gleichnamigen, 2011 veröffentlichten Graphic Novel von Bastien Vivès.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen