Personal Shopper (2016)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Vom Harren und Hoffen

In Social-Media-Gruselfilmen wie Unknown User (2014) oder Unfriend (2016) wird das Unheimliche unserer aktuellen Kommunikationsweisen zumeist auf plumpe Art ausgebeutet und lediglich dafür genutzt, abgedroschenen Erzählformeln einen modischen Anstrich zu geben. Der französische Drehbuchautor und Regisseur Olivier Assayas schafft es indes in seiner neuen Arbeit Personal Shopper, der Dramaturgie unseres durchdigitalisierten Alltags erstaunlich nahezukommen – und obendrein eine empathisch geschilderte Geschichte über die Suche nach der eigenen Identität sowie über die Bewältigung tiefer Trauer zu entwickeln.

Im Zentrum des Geschehens steht die junge US-Amerikanerin Maureen (Kristen Stewart). Diese hält sich in Paris auf, wo sie vor etwa drei Monaten ihren Zwillingsbruder Lewis durch einen Herzinfarkt verloren hat. Sie selbst leidet ebenfalls unter dem Herzfehler, der Lewis so früh das Leben kostete. Eine weitere Gemeinsamkeit der Geschwister war die Fähigkeit, in Kontakt mit Toten treten zu können. Aufgrund eines Versprechens wartet Maureen nun sehnsüchtig auf ein von Lewis gesandtes Zeichen. Darüber hinaus geht sie – um sich finanziell über Wasser zu halten – einer Tätigkeit als persönliche Einkäuferin für die prominente Kyra (Nora von Waldstätten) nach. Als sie Kyras momentanen Lover Ingo (Lars Eidinger) kennenlernt, bietet dieser ihr an, ihr einen Job mit besserer Bezahlung zu besorgen. Wenig später erhält Maureen im Laufe einer dienstlichen Zugfahrt von Paris nach London mysteriöse Kurznachrichten – und muss sich fragen, ob es sich bei dem Verfasser um Ingo handelt oder ob Lewis ihr auf diesem Wege das erhoffte Signal schickt.

Nach der Premiere von Personal Shopper auf dem Festival de Cannes 2016 wurde vor allem besagte Sequenz, in welcher Maureen mit den Nachrichten auf ihrem Mobiltelefon konfrontiert wird, wegen ihrer vermeintlichen Einfallslosigkeit von der Fachpresse kritisiert. Die Jury prämierte hingegen Assayas‘ Regieleistung. Dem Filmemacher geht es offensichtlich nicht darum, das Hin-und-her-Schreiben via Handy möglichst stylish umzusetzen – und doch bekommen wir von ihm in dieser Passage so viel mehr als ein abgefilmtes Display geboten: Dank eines perfekten audiovisuellen Timings vermag Assayas die inneren Gesetze, die Logik, die Dynamik, insbesondere aber die emotionale Spannung digitaler Kommunikation so zwingend einzufangen, wie wir es alle aus unserem eigenen Leben kennen dürften, bis dato allerdings kaum je auf der Kinoleinwand wiederfanden. Es ist konsequent und nachvollziehbar, dass die Schuss-Gegenschuss-Technik des Filmschnitts in Werken unserer Zeit nicht mehr zwangsläufig die Gesichter zweier Menschen zeigt, die sich zusammen in einem Raum aufhalten, sondern dass sie stattdessen einen Menschen und einen Bildschirm gegenüberstellt – sei es ein Smartphone-Display oder ein Computermonitor, auf dem ein YouTube-Clip oder das unkenntlich-verpixelte, oft eingefrorene Antlitz einer Person in einem Video-Chat-Fenster zu sehen ist. Wenn es zudem (wie hier) gelingt, den Dialog zwischen Mensch und gespenstisch anmutender Maschine mit Gefühl aufzuladen – also etwa das Zögern, Wagen und Zurückscheuen beim Tippen, die Qual und Ungewissheit beim Harren einer Antwort sowie die große Erwartung beim Vernehmen des Nachrichtenempfangstons stets glaubhaft zu komponieren –, dann entsteht ein eindrückliches, faszinierendes Stück kontemporäres Kino. Geschickt und klug bringt Assayas darin Genre-Bausteine zum Einsatz, ohne sich postmodern-ironisch an das Publikum anzubiedern. Elemente wie ein haunted house, der CGI-Geist einer zornigen Frau oder ein blutiger Mord mit unklarer Täterschaft haben in Personal Shopper nichts mit Horror- oder Thriller-Unterhaltung zu tun – vielmehr mit der Vermittlung von Entfremdung und zunehmender Verzweiflung. Das Drehbuch mag mit seinen zahlreichen Inspirationsquellen, die von dem französischen Schriftsteller Victor Hugo bis zur schwedischen Künstlerin Hilma af Klint reichen, thematisch überfrachtet sein; es trifft in seiner Vielgestaltigkeit jedoch genau den Kern unserer kaum fassbaren Realität.

Dass der Film derart gut funktioniert, ist neben Assayas‘ Könnerschaft gleichermaßen dem Spieltalent von Kristen Stewart geschuldet. Nachdem sie in Assayas‘ voriger Schöpfung Die Wolken von Sils Maria (2014) an der Seite von Juliette Binoche brillierte, liefert sie in Personal Shopper in der Hauptrolle eine extrem einfühlsame Interpretation, in welcher sie nicht nur den Schmerz, die Trauer und Angst der Protagonistin, sondern auch die ambivalenten Gefühle gegenüber der High-Fashion-Welt, in der Maureen umherdriftet, auf den Punkt bringt. Stewart verkörpert eine Figur, die ihr Dasein im Modus des Suchens und Wartens fristet – einerseits verschlossen und in sich gekehrt, andererseits offen und bereit für ein Zeichen, das ihrem Leben wieder Sinn verleihen soll. Allein in der oben genannten Zugfahrtsequenz demonstriert Stewart, wie viel sie nur über Blicke und Gesten erzählen kann. Der Wechsel in dieser Sequenz zwischen getipptem Text und Maureens emotionalen Reaktionen auf die eintreffenden Nachrichten lässt daran denken, wie sehr das Kino einst – in Stummfilmtagen – auf mimische Ausdruckskraft angewiesen war. In Personal Shopper vereinen Assayas und Stewart dramaturgische, inszenatorische und darstellerische Virtuosität zu einem ungewöhnlich schönen, sehr einnehmenden Film.

Personal Shopper (2016)

In Social-Media-Gruselfilmen wie „Unknown User“ (2014) oder „Unfriend“ (2016) wird das Unheimliche unserer aktuellen Kommunikationsweisen zumeist auf plumpe Art ausgebeutet und lediglich dafür genutzt, abgedroschenen Erzählformeln einen modischen Anstrich zu geben. Der französische Drehbuchautor und Regisseur Olivier Assayas schafft es indes in seiner neuen Arbeit „Personal Shopper“, der Dramaturgie unseres durchdigitalisierten Alltags erstaunlich nahezukommen.

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