Parts of a Family

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Gefängnis einer Ehe

Sie leben im selben Haus, aber ihr Leben teilen sie schon lange nicht mehr miteinander. Irgendwann in den 50 Jahren, die Gonzalo und Gina verheiratet sind, haben sie sich auseinandergelebt. Die Liebe von einst hat sich in Abneigung und Indifferenz verwandelt. Das Haus der beiden ist Schauplatz eines alltäglichen kalten Krieges mit zwei Verwundeten, die sich in ihre Schützengräben zurückgezogen haben. Der mexikanische Filmemacher Diego Gutiérrez hat mit seinem Dokumentarfilm Parts of a Family eine eindringliche Studie dieser – ebenso tragischen wie alltäglichen – Situation geschaffen, in der sich seine Eltern verfangen haben. Eine Situation, wie sie in ähnlicher Form hinter unzähligen Vier Wänden anzutreffen ist, sich jedoch selten filmisch präsentiert wie im Hause Gutiérrez.
Das riesige, abgeschottete Anwesen der Eltern nahe Mexiko-City ist das perfekte Setting für die Situation: Strenge, abweisende Fassaden, vergitterte Fenster, ein hoch ummauerter Garten. In seiner Reduktion wirkt der Schauplatz des Films wie eine abgeschlossene Versuchsanordnung, in der sich die beiden Akteure nach einer eingeschliffenen Choreografie bewegen. Wäre Parts of a Family ein Spielfilm, müsste der Regisseur Michael Haneke heißen: Der nüchterne Blick, mit dem Diego Gutiérrez das Verhalten seiner Eltern beobachtet, hat etwas sezierendes. Die Kamera ist statisch, die Bildausschnitte sind wohl kalkuliert. Die Eltern bewegen sich durch den Raum, selten sind sie zur selben Zeit in der selben Kameraeinstellung anzutreffen. Hier manifestiert sich das Sprachbild vom „aneinander vorbei Leben“ tatsächlich im Filmbild.

Eine große Stärke des Films ist das stilsichere Zusammenspiel von filmischer Form und Inhalt. Auch der Einsatz von – sparsam eingesetzten – Split-Screens ist hier weder Manierismus noch Verlegenheitslösung, sondern rückt auf formaler Ebene die Tatsache ins Bild, dass Gina und Gonzalo sich meistens isoliert voneinander in getrennten Räumen aufhalten. Schon im Vorspann wird die Situation auf diese Weise pointiert gesetzt: von außen durch die erleuchteten, vergitterten Fenster gefilmt, wirken Vater und Mutter jeweils wie in einer Einzelzelle gefangen. Sie sind während der 83 Filmminuten die einzigen, die im Haus zu sehen sind. Der filmende Sohn bleibt im Off, ist nur ab und an im Ton präsent, wenn er seinen Eltern Fragen stellt. Auch die Bediensteten bleiben unsichtbar. Das Haus ist so groß, dass die Mutter zum Telefon greift, um eine weitere Tasse Kaffee zu ordern. Diese Dimensionen sind perfekt für zwei, die sich aus dem Weg gehen.

Dabei haben sich die beiden einst geliebt und Hals über Kopf geheiratet. Während Gonzalo dann als Arzt Karriere gemacht hat, hat sich Gina (mit Unterstützung von Kindermädchen und Bediensteten) um Haus und Kinder gekümmert. Die Kinder sind längst aus dem Haus und irgendwann haben die beiden ihren stillen Stellungskrieg begonnen. Nun dreht sich Gonzalos Welt vor allem um ihn selbst: er schreibt ein Buch und zu seinem 80. Geburtstag will er Fallschirm springen. Gina dagegen traut sich kaum aus dem Haus, fühlt sich unverstanden, verletzt und frustriert. Am liebsten würde sie aus ihrem Ehe-Gefängnis ausbrechen.

Beim 15. Thessaloniki Documentary Festival ist Parts of a Family mit dem Preis der Internationalen Filmkritik (FIPRESCI-Award) ausgezeichnet worden. Der Film erzählt nicht nur die sehr persönliche, intime Beziehungs-Geschichte zweier Menschen, ohne jemals voyeuristisch zu sein. Darüber hinaus erreicht der Film – nicht zuletzt durch seine formale Konsequenz – eine fast symbolhafte Darstellung eines Zustandes der Entfremdung zweier Menschen, die sich einst geliebt haben und die nun, da sie alt sind, immer noch zusammen sind. Nur: Wo ist die Liebe hin? Und was kommt danach? Denn das Leben geht weiter.

Die Frage nach dem Funktionieren oder Nicht-Funktionieren von langjährigen Beziehungen beschäftigt zur Zeit übrigens einige Dokumentarfilmer. Auch der Schweizer Peter Liechti hat bei seinen eigenen Eltern nachgefragt. Im Gegensatz zu Gutiérrez geht er als Sohn voll auf Konfrontationskurs und fordert in Vaters Garten seine Eltern geradezu dazu heraus, Stellung zu beziehen. Das filmische Ergebnis ist höchst unterhaltsam und zeigt zwei Menschen, die sich – obwohl sie höchst unterschiedlich ticken – irgendwie miteinander arrangiert haben. Und wie in Parts of a Family ist es der Sohn, der die Brüche in der Ehe-Fassade seiner Eltern offenlegt – er hat ja lange genug mit hinter ihr gelebt.

Parts of a Family

Sie leben im selben Haus, aber ihr Leben teilen sie schon lange nicht mehr miteinander. Irgendwann in den 50 Jahren, die Gonzalo und Gina verheiratet sind, haben sie sich auseinandergelebt. Die Liebe von einst hat sich in Abneigung und Indifferenz verwandelt. Das Haus der beiden ist Schauplatz eines alltäglichen kalten Krieges mit zwei Verwundeten, die sich in ihre Schützengräben zurückgezogen haben.
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