Paradies (2016)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine irritierende historische Versuchsanordnung

Immer wieder wähnt man sich in einer Art Verhörsituation: Drei Menschen sind es, die der Kamera und einem unsichtbaren Befrager Rede und Antwort stehen. Immer wieder werden diese Szenen mit Jump Cuts unterbrochen, gerade so, als sei die Filmrolle des Aufnahmegeräts just in diesem Moment an ihrem Ende angekommen.

Im Lauf der Zeit bekommt man mit, dass es um die Zeit des Zweiten Weltkrieges geht und um die Verstrickungen der drei Menschen, die Paradies als Augen- und Zeitzeugen einführt. Dann aber folgt die erste Irritation, denn der Kollaborateur Jules (Philippe Duquesne), einer der drei Befragten, deren Erzählungen wir in knappen Szenen gezeigt bekommen, wird unvermutet von der Résistance hingerichtet. Wie kann das sein? Hatten wir nicht bis eben noch geglaubt bzw. hat uns nicht der Film glauben lassen, die Verhöre und Befragungen würden sich in der Zeit nach dem Krieg abspielen? Und nun müssen wir feststellen, dass es sich dabei – zumindest zu diesem Zeitpunkt in einem Fall – um Berichte von Toten handelt? Und: Können wir diesen Berichten überhaupt Glauben schenken? Denn erfordert eine Augenzeugenschaft nicht notwendigerweise, dass es sich dabei um einen Lebenden handelt?

Bei den beiden anderen Menschen, die uns der russische Regisseur Andrey Konchalovsky vorführt, handelt es sich einerseits um die russische Aristokratin Olga (Julia Vysotskaya), die als Exilantin in Paris zwei jüdische Jungen während der Zeit der deutschen Besatzung Frankreichs vor den Nazis versteckt hat, erwischt und verhaftet wird. Auf diese Weise gerät sie an Jules, den Kollaborateur, der sich in Aussicht auf ein Schäferstündchen mit der schönen Frau darauf einlassen will, einen Komplizen Olgas aus der Haft zu entlassen. Doch bevor es dazu kommt, stirbt Jules durch die Hand der Widerstandskämpfer, so dass Olga nun ohne Schutz dasteht und ins KZ kommt. Dort trifft sie auf den dritten Augenzeugen, den der Film uns vorstellt, den deutschen Adligen und SS-Offizier Helmut (Christian Clauß), der ihr 1933 begegnete und nun viele Jahre später erneut ihrem Charme verfällt und sie zu seiner Geliebten macht.

Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen im 4:3-Format, die streng kadrierten Zeugen-Sequenzen, die manchmal fast wie Tableaus wirkenden Bilder (Kamera: Alexander Simonov) sowie die kunstvolle Einführung und Verschränkung der drei Hauptfiguren lassen Paradies wie eine Parabel erscheinen. Dazu passen auch das stets etwas distanziert wirkende Spiele der Darsteller und die teilweise recht stereotyp geratenen Charakterzeichnungen (was insbesondere bei den Deutschen wie dem KZ-Kommandanten Krause und bei einem ins Lächerliche changierenden Heinrich Himmler negativ auffällt). Durch sie scheint sich der Film trotz des überwiegenden Handlungsortes Konzentrationslager nicht um Realismus (wie etwa unlängst gesehen bei Son of Saul), sondern viel eher um Überhöhung und Zuspitzung zu bemühen. Diese Verdichtung wendet sich dann am Ende in eine emotionale Dramatisierung, die Paradise unentschieden wirken lässt. Wenn am Ende Gott zu sprechen beginnt, dann fragt man sich unwillkürlich, wie dessen spätes Eingreifen gerade hinsichtlich der zuvor begangenen Gräuel zu beurteilen ist – eine Frage, auf die Konchalovsky eine Antwort schuldig bleibt.

Formal brillant und vom Aufbau her teilweise auch gewagt, irritiert der Regisseur besonders am Ende so nachhaltig, dass man nicht so recht weiß, ob genau dies in seiner Absicht lag oder ob sich hier nicht vielleicht doch falsche Zwischentöne eingeschlichen haben.
 

Paradies (2016)

Immer wieder wähnt man sich in einer Art Verhörsituation: Drei Menschen sind es, die der Kamera und einem unsichtbaren Befrager Rede und Antwort stehen. Immer wieder werden diese Szenen mit Jump Cuts unterbrochen, gerade so, als sei die Filmrolle des Aufnahmegeräts just in diesem Moment an ihrem Ende angekommen.

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