One on One

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Die müde Rache eines Provokateurs

Kim Ki-duk ist ein schwieriger Fall. Der 53-jährige Koreaner ist in allen Belangen ein Provokateur, ein Mann, der manchmal ohne das beruhigende Augenzwinkern Dinge von sich gibt und in seinen Filmen zeigt: Gewalt und Sexualität gehen bei ihm meist Hand in Hand. Er umarmt das Amoralische, um etwas über die Menschheit zu erzählen. Dennoch und vielleicht gerade weil sein Werk in seinen vielschichtigen Reflektionen über Terror so schwer zu verdauen ist, genießt Kim ein hohes Ansehen (zumindest außerhalb von Südkorea) auf dem Festivalzirkus. Nach zwei Auszeichnungen für die Beste Regie in Venedig (Bin-jip) und auf der Berlinale (Samaria) gewann sein freudianisches Rachedrama Pieta vor zwei Jahren den Goldenen Löwen am Lido. Im darauffolgenden Jahr zeigte er in beeindruckender Weise, dass der Preis ihn ganz sicher nicht in einen konformistischen Arthouse-Regisseur verwandelt hat. Wiederum in Venedig präsentierte er mit Moebius die stumme und äußerst brutale Reise von abgetrennten männlichen Geschlechtsorganen.
Sein neuestes Werk One on One, das ebenfalls in Venedig zu sehen war (obwohl er in Korea schon früher prämierte), ist keine Ausnahme im Bezug auf das Unbequeme und Verstörende im Kino von Kim, auch wenn der Film im Vergleich fast zahm daherkommt und sicher nicht an die Virtuosität früherer Filme des Regisseurs heranreicht. Es geht in dieser bitterbösen politischen Parabel um den Konflikt einer bewaffneten Selbstjustiz-Gruppierung mit den Mördern eines jungen Schulmädchens. Die Story fächert sich dabei äußerst simpel auf. Die von einem sehr gut ausgebildeten Soldaten (Don Lee) angeführte Rachetruppe wird einen der mutmaßlichen Mörder nach dem anderen in einer Folterbefragung zu einem Geständnis und zu mehr Informationen über den Mord bringen. Dabei zeigt Kim in einer rauen Eröffnungssequenz die Tat selbst.

Nach und nach arbeiten sich die Rächer in der Hierarchie der Mörder nach oben während es innerhalb der Gruppe zu Unstimmigkeiten bezüglich der Methoden ihres Anführers kommt. Gleichzeitig versucht einer der brutal verhörten Täter, Oh-hyun (Kim Young-min), hinter das Geheimnis der Gruppe zu kommen. Nicht alle Fragen werden beantwortet, aber subtil geht One on One auch nicht vor. Dabei unterliegt der Film einer existentiellen, allegorischen und in ihrer Umsetzung durchaus abstrusen Krise. Es geht natürlich um den Korea-Konflikt, es geht auch um die USA und ihre Terrorbekämpfung (man bemerke die äußerst misslungenen Sprachwechsel im Dialog ins Englische) und die Problematik von Diktaturen allgemein.

Dabei stellt der Film in einer unpräzisen sozialen Wut die These auf, dass Kapitalismus und Kollateralschaden in grausamer Weise zusammengehen. Das Politische würde sich zudem mit dem Persönlichen verbinden. So entspreche die Diktatur in der Politik jener Diktatur in der Ehe. Manchmal wünscht man sich bei einem derartigen Tonfall zurück in die großen, wortkargen Werke des Regisseurs wie Frühling, Sommer, Herbst, Winter… und Frühling oder Bad Guy. Hier wird alles kommuniziert, fast im Stil einer politischen Rede, sämtliche Figuren verkommen zu Allegorien, alles unterliegt hier einer Idee und auch wenn die Körperlichkeit und Direktheit der Kinosprache von Kim hier und da auftaucht, so wirkt das Gesamtergebnis doch müde und unfassbar bemüht.

Natürlich hat Kim schon immer gesellschaftliche und politische Ideen entwickelt, die hinter seinen Filmen ablaufen, man denke nur an Time, aber in One on One spürt man ständig, wie der Drehbuchautor hinter den Szenen denkt und aus diesem Grund vollzieht sich im Film ein intellektuelles (und in diesem Sinn äußerst schwammiges) und kaltes Spiel. Auch der morbide Schönheitssinn, den man schätzen kann am Schaffen des Regisseurs, findet sich nicht. Weder die Männer noch die Frauen strahlen diese animalische Lust aus und auch die Farben der Stadt haben kein poetisches Gehalt. Das ist natürlich in sich kein Kritikpunkt, da die visuelle Armut zur Gesamthaltung von One on One passt, aber der digitale Look des Films wirkt schlicht oft schlampig und uninspiriert.

Das bedeutet aber nicht, dass sich nicht ein paar aufregende Momente im Film finden würden. Da wäre zum einen eine in ihrer Länge und Konsequenz beeindruckende Sexszene zwischen einer Frau, die Mitglied im Racheteam ist und ihrem Macho-Freund. Die Szene beginnt in einer eifersüchtigen Wut des Mannes, der seine Freundin mit Gewalt unterdrückt. Er entreißt ihr das Handy und untersucht ihre Kurznachrichten. Dann vergewaltigt er die junge Frau mehr oder weniger, wobei sie versucht das Beste aus der Situation zu machen. Als sich die Situation scheinbar beruhigt, schlägt er sie erneut. Irgendwann gibt es Geld für das Opfer und Kim zeigt eindrücklich wie man eine Beziehung tatsächlich als politische Parabel auffassen kann.

Auch die Szenen, in denen Menschen durch die heruntergekommenen urbanen Settings laufen und rennen, sind beeindruckend. Kim hat einen digital transformierten Neorealismus-Vibe, der einem die Bedeutung jedes Schritts über den verdreckten Boden bewusst macht. Man sehe hierzu auch seinen Kurzfilm My Mother, den er zum Anlass der 70. Filmfestspiele von Venedig drehte. Zudem fordern einen die ständigen Perspektivwechsel in ihrem Verständnis für Raum in einer intensiven Art und Weise heraus, sich mit dem Gesehenen auseinanderzusetzen. Leider nutzt Kim diese aufsprühenden Funken seiner Klasse nicht, um einen guten Film zu machen. Aber oft sind die abstrusesten und müdesten Werke eines Regisseurs jene, die man viel später neu entdecken kann. Es scheint mir momentan nur schwer vorstellbar, aber vielleicht ist One on One ein solches verkanntes Geheimnis von Kim Ki-duk. Jedenfalls kann man ihm nicht unbedingt fehlende Konsequenz vorwerfen.

One on One

Kim Ki-duk ist ein schwieriger Fall. Der 53-jährige Koreaner ist in allen Belangen ein Provokateur, ein Mann, der manchmal ohne das beruhigende Augenzwinkern Dinge von sich gibt und in seinen Filmen zeigt: Gewalt und Sexualität gehen bei ihm meist Hand in Hand. Er umarmt das Amoralische, um etwas über die Menschheit zu erzählen. Dennoch und vielleicht gerade weil sein Werk in seinen vielschichtigen Reflektionen über Terror so schwer zu verdauen ist, genießt Kim ein hohes Ansehen (zumindest außerhalb von Südkorea) auf dem Festivalzirkus.
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