Nordstrand (2013)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Kammerspiel unter weitem Himmel

Florian Eichingers Nordstrand bezieht einen Gutteil seiner Kraft und Wucht gerade aus der scheinbaren Beschränkung, die sich der Film auferlegt hat. Ein Haus voller Erinnerungen, zwei Brüder, die darin verstrickt sind, die Suche nach einem Ausweg aus dem niemals verarbeiteten Traum und ganz wenige Nebenfiguren – mehr braucht der Filmemacher nicht für seinen zweiten Film nach dem ähnlich gestalteten Debüt Bergfest aus dem Jahre 2008. Wie sehr ihn das gemeinsame Thema seiner Filme umtreibt, lässt sich auch daran ablesen, dass Nordstrand als zweiter Teil einer Trilogie über das Schlachtfeld Familie angelegt ist. Und betrachtet man die Herangehensweise der beiden bereits vorliegenden Teile, dann darf man gespannt sein, ob sich der noch folgende Abschlussfilm noch einmal zu steigern versteht. Es geht darin, soviel ist zu vernehmen, um das Thema des sexuellen Missbrauchs, wobei hier eine Mutter zur Täterin wird. Interessant dürfte dieses gleich doppelte Tabuthema vor allem deshalb werden, weil Florian Eichinger in Nordstrand auf grelle Schockeffekte und explizite Szenen weitestgehend verzichtet und stattdessen ganz auf seine Figuren vertraut.

Marten (Martin Schleiß) und der drei Jahre jüngere Volker (Daniel Michel) sind Brüder, doch ihre Vergangenheit hat sie auseinandergerissen. Sie leben weit voneinander entfernt in verschiedenen Ecken des Landes und haben sich lange nicht gesehen. Dann aber begegnen sie wieder einander in dem Haus, in dem sie ihre Kindheit verbrachten und das seit dem Tod des Vaters und der Gefängnisstrafe ihrer Mutter leer steht. Nun, da sie sich in ihrem Elternhaus nach langer Zeit des Schweigens treffen, stehen Entscheidungen an: Was soll mit dem Haus geschehen? Und was ist mit der Mutter, die bald aus dem Gefängnis entlassen werden soll? Während Volker das Haus am liebsten verkaufen und damit die Vergangenheit hinter sich lassen möchte, versucht Marten seinen Bruder dazu zu bringen, dass dieser sich endlich der Konfrontation mit der Mutter stellt.

Schnell ahnt man, dass die Abwesenheit der Eltern der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist, um die herum sich das Drama nun entwickelt. Das Unheilvolle, latent Gewalttätige, das sich später immer mehr manifestieren wird, deutet sich bereits in der Eingangsszene an, die aus der Kindheit der beiden Brüder berichtet. Aus Übermut genehmigen sich die beiden Kinder ein Schlückchen aus der Schnapsflasche und werden dabei prompt von ihrem Vater erwischt, der ob der Disziplinlosigkeit zu drakonischen Strafmaßnahmen greift und seine Söhne zum Weitertrinken ermutigt, bis die Mutter versucht, dem Treiben ein Ende zu setzen. Das, was dann folgt, verlagert Florian Eichinger hinter verschlossene Türen, doch auch so merkt der Zuschauer schnell, was in dieser Familienkonstellation schief läuft.

Trotz der Vorhersehbarkeit, die der Regisseur und Drehbuchautor mit wenigen Szenen etabliert, gelingt es dem Film dennoch immer wieder, im Folgenden die Erwartungshaltungen des Publikums geschickt zu unterlaufen und überraschende Wendungen einzubauen. So erweist sich beispielsweise der rebellische Volker, der in seiner Kindheit in besonderer Weise den Zorn des cholerischen Vaters zu spüren bekam, auf den ersten Blick als wesentlich gefestigter als Marten, der auch heute noch darunter leidet, dass er früher nur zugeschaut hat und vermutlich froh war, selbst aus der „Schusslinie“ zu sein. Die Verarbeitung dieser Ohnmachtserfahrungen aus der Kindheit – das wird sich aber erst später herausstellen — gipfelt im fast schon ritualisierten Abreagieren Volkers, der der Saat der Gewalt auch heute nicht entgehen kann.

Überaus gelungen ist es auch, wie Nordstrand seine Enthüllungen immer wieder geschickt verzögert, Informationen bewusst vorenthält, um sie dann später umso effektvoller einzustreuen. Auf diese Weise entsteht eine innere Spannung, ein dramaturgischer Bogen, der den Zuschauer gleichermaßen fasziniert wie entsetzt zurücklässt.

Gegenüber seinem Debüt Bergfest, dem man das Unfertige an einigen Stellen doch sehr anmerkte, hat sich Eichinger (übrigens nicht verwandt oder verschwägert mit dem Filmproduzenten gleichen Namens) mit Nordstrand deutlich gesteigert — auch wenn der Film an der ein oder anderen Stelle noch konzentrierter hätte sein können. Behält der noch junge Filmemacher diese Qualitätssprünge von Film zu Film weiter bei, muss einem vor der zu erwartenden Wucht des dritten Teiles seiner Trilogie jetzt schon mal Angst und Bange werden.
 

Nordstrand (2013)

Florian Eichingers „Nordstrand“ bezieht einen Gutteil seiner Kraft und Wucht gerade aus der scheinbaren Beschränkung, die sich der Film auferlegt hat. Ein Haus voller Erinnerungen, zwei Brüder, die darin verstrickt sind, die Suche nach einem Ausweg aus dem niemals verarbeiteten Traum und ganz wenige Nebenfiguren – mehr braucht der Filmemacher nicht für seinen zweiten Film nach dem ähnlich gestalteten Debüt „Bergfest“ aus dem Jahre 2008.

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