Niemandsland - Über die Zukunft einer verlassenen Stadt

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das Benjamin-Franklin-Village war über viele Jahrzehnte hinweg ein fester Bestandteil der Stadt Mannheim, eine Stadt in der Stadt, die dennoch gleichzeitig etwas völlig anderes war – ein Stück USA mitten in der nordbadischen Metropole. Im Jahr 1947 gegründet war das Gelände eine der größten US-amerikanischen Ansiedlungen außerhalb der Vereinigten Staaten, bis 2012 der letzte amerikanische Soldat das Gelände für immer verließ.
Ein Abschied, der in Mannheim selbst mit einem lachenden und einem weinenden Auge aufgenommen wurde – schließlich knüpften sich viele Erinnerungen der Einwohner an „unsere Amis“, nicht wenige (unter anderem der Rezensent selbst) hatten in dem Kino auf dem Gelände einen Teil ihrer filmischen Sozialisation erfahren – inklusive des Absingens der amerikanischen Nationalhymne vor jeder Vorstellung. Die Freude über den Abzug lag darin begründet, dass nun mit einem Schlag ein Gebiet von der Größe der gesamten Mannheimer Innenstadt zur Verfügung stand, auf dem ein neuer Stadtteil entstehen konnte. Mit dieser Konversion verbunden war und ist eine enorme gestalterische und stadtplanerische Herausforderung, weil hier auf einer riesigen Fläche unter Einbehaltung mancher markanter Punkte im Prinzip ein völliger Neustart erfolgen konnte. Eine Chance und zugleich ein Risiko, wie sie eine Stadt nur selten erhält.

Die beiden Mannheimer Filmemacher Donnie Schoenemond und Philipp Kohl haben diesen Prozess mit der Kamera begleitet, daraus ist mit Unterstützung der Stadt Mannheim eine Dokumentation entstanden, die sichtlich fasziniert ist von dem Prozess, der gerade in der Heimatstadt der beiden Filmemacher im Gange ist. Gerade im Falle von Philipp Kohl scheint das filmische Erkunden seiner Stadt zu einem roten Faden in seiner noch kurzen Filmgraphie zu werden. Mit seinem Film Transnationalmannschaft erforschte der studierte Ethnologe das Mannheimer Multikulti-Viertel Filsbach und Jungbusch mit einem Migrantenanteil von rund 60% während der Zeit der Fußball-WM 2010 und zeigte dort anhand von ganz normalen Begegnungen auf, wie Zusammenleben verschiedener Kulturen im städtischen Raum in der Praxis funktioniert.

Die Begegnungen mit Menschen sind auch das Salz in der Suppe bei Niemandsland. Sie kontrastieren die beinahe schon magisch wirkenden Bilder, die das Niemandsland, diesen einstmals belebten und nun beinahe menschenleeren Ort am Rande einer Großstadt, in seiner sich selbst überlassenen Schönheit und Ruhe zeigen. Und fast könnte man sich wünschen, das Niemandsland möge für immer genau so bleiben wie in diesen Momenten voller Anmut und stiller Größe: sich selbst, dem Wildwuchs und den kreativ-querköpfigen Spinnern, Fricklern und Vagabunden überlassen. Nach einer Episode, während der hier zwischenzeitlich fast 10.000 Geflüchtete eine provisorische Bleibe fanden, sind die Bauarbeiten nun in vollem Gang: Die ersten Wohnhäuser stehen schon, es gibt weit vorangeschrittene und in zahlreichen Bürgerbeteiligungsverfahren abgestimmte Planungen, die aus dem Benjamin-Franklin-Village einen neuen, bunt gemischten Stadtteil mit hohem Anteil an Flächen für die sogenannten Kreativwirtschaft entstehen lassen. Es könnte durchaus spannend werden, diesen Stadtteil in einigen Jahren oder Jahrzehnten zu sehen und dann zu beurteilen, ob all die Denk- und Planungsprozesse gefruchtet haben. Ob sie allerdings die Magie des Niemandslandes und den Enthusiasmus seiner zwischenzeitlichen Bewohner werden bewahren können, muss dann doch bei aller Euphorie bezweifelt werden.

Niemandsland - Über die Zukunft einer verlassenen Stadt

Hinter dem Zaun einer der größten ehemaligen US-Kasernen auf deutschem Boden in Mannheim schlummert ein von Menschen verlassenes Niemandsland von merkwürdig anmutender Schönheit. Und doch begegnet man dort immer wieder den unterschiedlichsten Charakteren. Sie alle kommen, um ihre ganz eigenen Missionen zu verfolgen.
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