Near Death Experience

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Lustloses Dahinvegetieren

Eines vorneweg: Michel Houellebecq ist ein großartiger Schriftsteller. Sicherlich der beste Frankreichs. Seine Prosa ist klar und voller Schönheit. Seine Geschichten provokant, aber immer relevant. Der Blick auf die Person Houellebecq sieht schon anders aus. Er ist kein Intellektueller. Läuft in abgehalfterten Klamotten rum. Wie ein Obdachloser gammelt er gerne vor sich hin, flucht, gibt sich als Prolet. Und tritt neuerdings auch häufiger im französischen Kino auf. Leider nicht als brillanter Autor, sondern als wandelnder Clochard.
Vielleicht ist das ja der Reiz an der Sache. Als ihn Guillaume Nicloux in Die Entführung des Michel Houellebecq – genau – entführen ließ, dann war das nicht nur eine Filmrolle, sondern gleich eine Performance. Die Zeitungen schrieben von der Entführung, die Öffentlichkeit dachte eine Zeit lang, der Schriftsteller sei wirklich überfallen worden. Nicloux‘ Film spielte mit dieser doppelten Rolle. Die öffentliche Wahrnehmung des Schriftstellers konfrontierte er so mit dessen Posen. Das war urkomisch. Ein Spiel mit Imagebildern und medialen Wunschvorstellungen. All das ist Near Death Experience von Benoît Delépine und Gustave Kervern nicht. Und das, obwohl sie durchaus einen ähnlichen Plan verfolgen.

Paul (Michel Houellebecq) ist arbeitslos, hängt vor dem Fernseher herum, trinkt Bier. Es ist noch nicht einmal Mittag. Dann kommt die Familie vom Einkaufen wieder. Die Kinder ignorieren den Vater. Pauls Frau nimmt die Verwahrlosung ihres Gatten ebenfalls kaum zur Kenntnis. Dann steht Paul auf, sagt, er gehe für eine Stunde Rad fahren, fährt einen Berg hinauf und will sich umbringen.

Leider bringt sich Paul nicht um. Es folgen stumme Einstellungen von Michel Houellebecq am Rand einer Klippe, an einer nackten Bergwand, in einem Feld, auf einem Bergweg. Die Bilder sind digital bei natürlichem Licht gedreht. Bei Panoramaeinstellungen sind sie schlampig verwischt, als hätte man das ganze Projekt binnen weniger Stunden auf die Beine gestellt. Auch das alles wäre noch zu ertragen, wenn aus dieser Konstellation etwas Greifbares entstehen würde. Aus dem Off ergießt Houellebecq einen Monolog, der reinen Zivilisationshass versprüht. Alles ist schlecht, das Leben ein schlechter Witz, jedes Handeln zum Scheitern verurteilt. Das hat durchaus seinen Reiz. Taugt aber mehr zum kleinen, bösartigen Kurzfilm.

In der jetzigen Form ist Near Death Experience unerträglich langweilig. Oder besser: Eine Bühne für den eitlen Pirouettendreher Michel Houellebecq, dessen aktuellen Ausflüge ins Kino mich jedenfalls sehr ratlos zurücklassen. Anders als eine Marina Abramović bietet sein Starkörper wenig Angriffspotential, weil er sich nie vielen Interpretationsmöglichkeiten öffnet, sondern uns sein lustloses Dahinvegetieren als einzig wahren modernen Lebensweg verkaufen möchte. Was in seinen Büchern funktioniert, verkommt im Medium Film zur starren Pose. Kurzum: Wir bleiben bei den Büchern, lieber Herr Houellebecq.

Near Death Experience

Eines vorneweg: Michel Houellebecq ist ein großartiger Schriftsteller. Sicherlich der beste Frankreichs. Seine Prosa ist klar und voller Schönheit. Seine Geschichten provokant, aber immer relevant. Der Blick auf die Person Houellebecq sieht schon anders aus.
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