Mountains May Depart (2015)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Über 25 Jahre verteilt erzählt Jia Zhang-ke, wie schon in seinen früheren Filmen, von Einzelschicksalen innerhalb der chinesischen Gesellschaft. Dass dies in seinem Heimatland nicht gern gesehen wird, zeigt sich daran, dass sein letzter Film A Touch of Sin, Gewinner der Goldenen Palme für das beste Drehbuch 2013, verboten wurde. Fast hätte Jia Zhang-ke das Handtuch geworfen, doch zum Glück machte er weiter und kommt mit Shan He Gu Ren (Mountains May Depart) umso furioser ins Kino zurück.

China, 1999: Tao (Zhao Tao), Zhan Jinsheng (Zhang Shi) und Liangzi (Liang Jin Dong) befinden sich in einer ungewollten Dreierkonstellation. Beide Männer wollen Tao, die junge, lebensfrohe Frau, die sich zwischen ihren Liebhabern nicht entscheiden will. Überhaupt muss Tao erst einmal ausloten was die Zukunft bereithält. In einem Jahr bricht das neue Jahrtausend an und China ist im Umbruch. Millionen neue Möglichkeiten tun sich auf, so scheint es zumindest für sie. Auch Zhan sieht den Umbruch. Sein Geschäft läuft gut, er ist einer der frühen Verfechter des Kapitalismus und des Konsums. Liangzi hingegen ist ein einfacher Arbeiter im Kohlewerk und nicht interessiert am Emporkommen. Um seinen Nebenbuhler auszustechen, kauft Zhan letztendlich die Kohlemine und schmeißt ihn raus. Das Geld siegt und Zhan und Tao heiraten, während Liangzi aus seiner Heimatstadt verschwindet und zum Wanderarbeiter wird.

China, 2014: Liangzi kehrt zurück mit Frau, Kind und Lungenkrebs vom Kohlestaub. Tao ist geschieden, arbeitet bei ihrem Vater an der Tankstelle, die gut läuft und vermisst ihren Sohn. Den hat Zhan mitgenommen nach Shanghai wo er inzwischen große Geschäfte abwickelt, eine neue Frau hat und seinen Sohn international erzieht und dazu ermuntert, seine „alte“ Mutter zu vergessen. Als Taos Vater stirbt, verbringt sie wenige Tage mit ihrem Sohn, den Zhan im Rausche der New Economy „Dollar“ getauft hat, nur um zu bemerken, wie weit die Kluft durch Kapitalismus und Globalisierung zwischen ihr und ihrem Sohn schon ist.

Australien, 2055: Dollar (Dong Zijian) ist ein junger Mann, der seine chinesischen Wurzeln mühsam im Unterricht nachvollziehen muss, kaum Mandarin spricht und keine Lust mehr hat auf die Uni, trotz der exzellenten Ausbildung, die er genossen hat. Zu seinem Vater Liangzi ist er distanziert. Die kulturelle Kluft und der Altersunterschied stehen den beiden im Weg. Im Unterricht bei der älteren Chinesin Mia (Silvia Chang) erinnert er sich an China und seine Mutter Tao.

Shan He Gu Ren (Mountains May Depart) teilt sich in drei Episoden, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die erste erinnert an einen klassischen Hollywood-Liebesfilm der 1950er Jahre, der zweite verfällt in tiefe melodramatische Töne. Der letzte Teil ist Jiang Zhan-kes futuristischer Blick in die nahe Zukunft. Doch alle drei erzählen anhand einiger Einzelschicksale und deren Verknüpfungen vom Schicksal der chinesischen Gesellschaft. Beginnend beim Einbruch des neuen Jahrtausends und der Durchsetzung kapitalistischer Strukturen in China, zeichnet der Film ein langsames und stets einfühlsames Bild von seinen Protagonisten und deren Reaktion auf die neuen Zeiten. Nicht umsonst beginnt der Film damit, wie Tao zu „Go West“ von den Pet Shop Boys tanzt, ein Lied, das in seinem Text die kommende chinesische Diaspora bereits hervorragend vorauszeichnet, der sich auch Zhang und Taos Sohn anschließen werden. Wer zuerst auf der Strecke bleibt ist Liangzi, der sich nicht für die ändernden Zeiten interessiert und von der chinesischen Arbeitsmaschinerie nach kürzester Zeit zermürbt wird. Doch auch Tao hat mit Verlusten zu kämpfen. Ihre Familie zerschellt an der Diaspora, die in viele Auslandschinesen eine immense Anpassung an westliche Standards auslöst. So heißt Zhang alsbald Peter und Taos Sohn Dollar, ist schon nach kurzer Zeit so westlich zivilisiert, dass er bei seiner kurzen Rückkehr nach China die Welt nicht versteht.

Noch spannender sind Jia Zhang-kes futuristische Überlegungen. Wie wird es 2025 sein, wenn die erste Generation der chinesischen Kinder, die ausgewandert sind, erwachsen ist und sich selbst finden muss, weit ab von ihren Wurzeln und ihrer Kultur? Und wie wird es ihren Eltern gehen, die nun ihr Alter und ihren Tod ebenfalls weit entfernt erleben müssen, in einer Kultur, die letztendlich doch nicht ihre eigene ist?


(Clip zu Mountains May Depart)

Auch wenn die drei Episoden nicht konsistent und gleich stark sind – vor allem der zweite verliert stark an Zugkraft und Rhythmus, während der letzte für einige Zuschauer ein wenig zu kitschig sein mag – Shan He Gu Ren (Mountains May Depart) ist in seiner Gesamtheit ein großartiger, humanistischer und emotionaler Film, der in seinen kleinen Geschichten mehr von China zu vermitteln weiß, als viele andere Filme. Es ist abzusehen, dass Jia Zhang-ke hier abermals Ärger in seinem Heimatland bekommen wird, sind die Aussagen dieses Filmes doch höchst unerwünscht und in ihrer Sanftheit und Subtilität hochgradig treffend porträtiert.

Mountains May Depart (2015)

Fenyang 1999: Die Lehrerin Tao ist in den Bergarbeiter Liang verliebt, trennt sich aber von ihm, nachdem der Bergwerksbesitzer Jinsheng sie heiraten will. Mit gebrochenem Herzen verlässt Liang seine Heimatstadt. 15 Jahre später leidet Liang an einer tödlichen Krankheit. Er beschließt zusammen mit seiner Ehefrau und seiner Tochter nach Fenyang zurück zu kehren, um dort die letzten Tage seines Lebens zu verbringen. Er trifft wieder auf Tao, die mittlerweile von Jinsheng geschieden ist. Jinsheng plant mit ihrem gemeinsamen Sohn Daole nach Australien zu immigrieren.

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