Monsieur Pierre geht online

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Mit Verjüngungstrick ins Dating-Abenteuer

Sylvies (Stéphane Bissot) Idee war gut gemeint. Weil ihr alter Vater Pierre (Pierre Richard) seit zwei Jahren nicht mehr seine Pariser Wohnung verlassen hat, sondern nur noch um seine verstorbene Frau trauert, soll er lernen, mit dem Internet umzugehen. So könnte er sich die Welt ins Haus holen, mit Sylvie skypen … Alex (Yaniss Lespert), der nichtsnutzige neue Freund ihrer Tochter Juliette (Stéphanie Crayencour), der mangels Geld nun auch noch die Füße unter Sylvies Tisch stellt, soll Pierre den Internetzugang einrichten und ihm Computer-Unterricht geben. So weit, so gut, aber was tut Pierre, kaum dass er im Internet ist? Er verhält sich wie ein Pubertierender und hält Ausschau nach schönen Frauen.
Bei der Anmeldung zu einem Dating-Portal gibt Pierre als Geburtsdatum zuerst 1934, nach kurzem Überlegen dann aber doch lieber 1984 ein, und stellt ein Foto von Alex dazu. Es dauert nicht lange und er bekommt Post von Flora (Fanny Valette), einer 31-jährigen Physiotherapeutin, die so schön ist wie seine geliebte Frau Madeleine auf den Urlaubsfilmen von einst. Flora entflammt für Pierres romantische Sprache und ihm verleiht die Online-Korrespondenz Flügel. Aber dann möchte ihn Flora unbedingt persönlich treffen. Nun muss Pierre nur noch Alex überreden, mitzuspielen. Da helfen ein treuherziger Blick aus blauen Augen, ein gekonnt vorgetragener Mitleidsappell und ein paar Geldscheine.

Der Erfolg von Seniorenkomödien liegt sicher nicht nur daran, dass ihre Helden dem klassischen Arthouse-Filmpublikum altersmäßig ähneln oder nur wenig voraus sind. Und auch nicht nur daran, dass sie ein lange vernachlässigtes Thema in der nach ewiger Jugend gierenden modernen Gesellschaft behandeln. Ein Grund ihrer Beliebtheit scheint nämlich auch zu sein, dass sie zur Demontage oder Persiflage von allerlei Klischees – die im Mainstream-Kino ansonsten ungut dominieren – geradezu prädestiniert sind. Stets weigern sich in ihnen die Alten, einfach nur alt und traurig und abgehängt zu sein. Sie gründen WGs (Wir sind die Neuen, Und wenn wir alle zusammenziehen?), sie überfallen eine Bank (Abgang mit Stil), sie sind sich zu schade fürs Altenheim (Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand). Kurz, sie definieren ihre Ansprüche an das Leben selbst.

Und oft wildern die Altern in diesen Seniorenkomödien in den vermeintlichen Domänen der Jungen und zeigen diesen, wo der Hammer hängt. So konfrontieren diese Filme das Publikum mit seinen Normvorstellungen und machen dabei in der Regel großen Spaß. Das trifft für diese dem wunderbaren Pierre Richard (Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh) auf den Leib geschnittene Geschichte besonders zu. Die von Edmond Rostands Versdrama Cyrano de Bergerac von 1897 inspirierte Handlung über einen heimlich Verliebten, der einem anderen Mann als Ghostwriter dient, wird von Regisseur und Drehbuchautor Stéphane Robelin (Und wenn wir alle zusammenziehen?) mit herrlicher Situationskomik versehen. Ständig droht die hanebüchene Dreieckskonstruktion, in die Pierre Alex hineinzieht, um Flora selbst nahe zu sein, aufzufliegen. Aber Robelin schraubt sie frisch und frech weiter in verwegene Höhen.

Sehr schön ist Pierres Wandlung anzusehen. Zuerst wird er den Zuschauern als Greis präsentiert, der sich und die Wohnung verwahrlosen lässt. Und dann, ah, l’amour!, seine Internet-Worte voller Sehnsucht, vorgetragen mit sonorer Voice-Over-Stimme, ein schickes blaues Hemd, das die Farbe der schalkhaft vitalen Augen betont … Pierre organisiert auf einmal einen Mietwagen, bestellt Sushi, ist ganz Mann von Welt. Robelin befreit Richard von seinem in den 1970er und 1980er gepflegten Image eines Darstellers, der auf körperbetonte Komik setzt. Hier vertraut Richard dem Charme seines sensiblen Gesichtsausdrucks. Sein Film-Pierre muss die innere Jugend nicht hampelnd forcieren, er wirkt einfach verblüffend präsent und lebhaft für sein Alter – und schon ist ein Klischee im Kopf des Betrachters korrigiert.

Der einzige Wermutstropfen dieser Komödie ist das auf Dauer einseitige Spiel von Yaniss Lespert. Sein Alex verfügt im Grunde nur über einen einzigen Gesichtsausdruck, weswegen ihm Pierre auch vorwirft, er wirke immer “wie ein geprügelter Hund“. Diese Bedrückte, Weiche und Unschlüssige in seiner Miene lässt auf die große emanzipatorische Wende warten, die aber rein optisch nicht kommt. Davon abgesehen aber ist dieser Film ein herrlich inspirierter Spaß, der oft zu spontanem Auflachen reizt.

Monsieur Pierre geht online

Sylvies (Stéphane Bissot) Idee war gut gemeint. Weil ihr alter Vater Pierre (Pierre Richard) seit zwei Jahren nicht mehr seine Pariser Wohnung verlassen hat, sondern nur noch um seine verstorbene Frau trauert, soll er lernen, mit dem Internet umzugehen. So könnte er sich die Welt ins Haus holen, mit Sylvie skypen …
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Meinungen

Martin Zopick · 27.03.2022

Regisseur Robelin ist noch ein Newcomer im Filmgeschäft und er muss weißgott noch viel lernen. Hier hat er uns eine Schmonzette aufgetischt, die weder Witz noch Tempo aufweisen kann und einen Plot hat, der zäh und langatmig daherkommt. Zwei ganze Gags habe ich gezählt: als Pierre mit seinem IT Lehrer Alex telefoniert, weil er Probleme beim öffnen der Website hat, rät ihm dieser ‘Sie müssen das Fenster aufmachen!‘ Pierre tut es. Er steht auf und öffnet das Fenster zum Hof. Es geht immer noch nicht. Und wenn Pierre von der großen Suchmaschine spricht, redet er von ‘Goggel‘. Auf dem Niveau bewegen sich die seltenen Späße. Das Thema Oldies und Internet ist auch nicht gerade neu. Alles steht und fällt mir Hauptdarsteller Pierre Richard. Und der scheint hier voll auf Valium zu sein.
Er schickt seinen IT Lehrer Alex (Yaniss Lespert) stellvertretend zu einem Rendez-vous mit der unbekannten Flora (Fanny Valette). Auftraggeberin ist Pierres dicke Tochter Sylvie (Stéphane Bissot). Dass das rauskommen muss, ist ja klar. Die Auflösung wird hier peinlich verklemmt wie im 19. Jahrhundert verkauft. Man kann der kryptischen Handlung schwerlich folgen, weil es durch einen verwandtschaftlichen Kuddel-Muddel geht, dass es einem schwindlig wird.
Das Pathos ist kaum noch zu überbieten, wenn Flora zwischen Alex und Pierre platziert wird, ehe sie sich für den jüngeren entscheidet. Für wen denn sonst? Doch dann setzt die Regie noch einen drauf: sie zieht plötzlich aus dem nirgendwo eine passende Dame (Macha Méril) für Pierre aus dem Hut. Mit der Handlung hat das nichts mehr zu tun. Höchstens mit dem französischen Originaltitel ‘Ein Profil für Gott‘. Eins für den Film wäre angebrachter. K.V. Armer Pierre! Hast du das jetzt nötig?

STH · 14.08.2017

Ein wunderbarer Film voller Energie und toller Details.