Mindhunter (TV-Serie, 2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

My Man Kemper

Der Anfang von Mindhunter könnte in die Irre führen: FBI-Agent Holden Ford (Jonathan Groff) kommt zu einem Haus, das von Polizisten umstellt ist. In dem Haus hält ein Mann Geiseln, Ford soll mit ihm verhandeln und ihn möglichst zur Aufgabe bewegen. Doch dieses Vorhaben endet in einem Blutbad. Damit scheint diese erste Folge unter der Regie von David Fincher alle Erwartungen zu erfüllen, die mit dem Namen des Regisseurs verbunden sind. Aber Mindhunter ist keine weitere blutige, düstere, schwere Beschäftigung mit Serienkillern, es ist kein Se7en in Serie. Vielmehr ist diese Erfahrung für Ford nur eine weitere Bestätigung seiner Überzeugung, dass das FBI mehr über die Menschen erfahren muss, mit denen es täglich zu tun hat: Verbrecher. Oder wie er es formuliert: ‚Wie kommen wir den Verrückten zuvor, wenn wir nicht wissen, wie die Verrückten denken?‘ Deshalb schließt er sich seinem Kollegen Bill Tench (Holt McCallany) von der Verhaltensforschung an und geht mit ihm auf eine Polizistenschulungs-Tour durch die USA, die sie dazu nutzen, mit dem verurteilten Mörder Ed Kemper (Cameron Britton) zu sprechen. Kemper erscheint als idealer Kandidat, um mehr über „verrückte“ Mörder zu erfahren: Im Alter von 15 Jahren hat er seine Großeltern erschossen, war in einer Besserungsanstalt und hat dann ab 1972 Anhalterinnen sowie schließlich seine Mutter und deren Freundin ermordet. Die Polizei hätte ihn kaum überführt, wenn er sich nicht gestellt hätte. Kemper ist gesprächsbereit, intelligent und seine Entwicklung ist gut dokumentiert.

Tatsächlich erhalten Ford und Tench von ihm Einblicke in die Beweggründe für sein Verhalten und damit nehmen die Behavioral Analysis Unit (BAU) und das Profiling, heute längst selbstverständlicher Bestandteil der Kriminologie, ihren Anfang. Lose basierend auf dem Sachbuch Mindhunter: Inside the FBI’s Elite Serial Crime Unit von John E. Douglas und Mark Olshaker erzählt die Serie, wie das FBI die Grundlagen dieser Technik und die Systematik entwickelt hat. Im Mittelpunkt steht die Überzeugung, dass man Mörder, die scheinbar unerklärliche Taten begehen, verstehen können muss, um weitere Morde zu verhindern und sie zu überführen. Heute erscheint diese Ansicht selbstverständlich, damals aber glaubte man im FBI und der Polizei mehrheitlich, diese Mörder müssten nicht verstanden, sondern auf den elektrischen Stuhl gebracht werden. Außerdem wurde bezweifelt, ob man den Aussagen der Täter Glauben schenken kann. Dennoch machen Ford und Tench weiter, sie holen die Psychologin Dr. Wendy Carr (Anna Torv) an Bord und beginnen schließlich, einen Fragebogen und eine Systematik zu entwickeln. Dadurch kann man in dieser Serie miterleben, wie mittlerweile jedem Krimiaffinen bekannte Begriffe, wie organisierter und unorganisierter Täter oder Serienmörder, entstanden sind.

Klugerweise verweigert sich die Serie in der Narration dem aus beispielsweise Criminal Minds bekannten „Fall der Woche“, sondern sie konzentriert sich auf die Entwicklung der Forschung. Natürlich gibt es dabei Kriminalfälle, die gelöst werden, auch beteiligen sich die FBI-Agenten an manchen Ermittlungen. Jedoch geht es mehr um das „Warum“ als das „Wer“. Spannung bezieht Mindhunter daher vor allem aus den Konflikten der FBI-Agenten, die die Auswirkungen ihrer Arbeit auf verschiedene Weise spüren. Dabei ist Jonathan Groff gleichermaßen sympathisch wie anstrengend, er verkörpert überzeugend den Wissensdurst und die Neugier sowie Fords uneingestandene Schwierigkeit, Abstand zu seiner Arbeit bekommen. Er fungiert gewissermaßen als Archetyp vieler nachfolgenden Profiler in fiktionalen Werken. Hier zeigt sich deutlich, dass sich sein Holden Ford ebenso an den tatsächlichen John E. Douglas anlehnt wie bspw. Jason Gideon aus Criminal Minds oder Jack Crawford in Thomas Harris’ Hannibal-Büchern. Holt McCallany erweist sich als perfekter Gegenpart: Er ist ruhig, gefasst, er kennt seine persönlichen Grenzen weitaus besser und achtet eher auf seine Gegenüber. Zusammen mit Anna Torv als kontrollierte, wissenschaftliche Psychologin ergeben sie ein überzeugendes HauptdarstellerInnen-Trio, das die Serie zusammen mit den exzellenten Nebendarstellern trägt.

Vorangebracht wird Mindhunter dabei vor allem durch Gespräche: zwischen Ford und Tench, zwischen den verurteilten Tätern und den FBI-Agenten, zwischen ihnen und Wendy Carr – und letztlich auch zwischen Holden und seiner Freundin Debbie (Hannah Gross), die er gleich zu Beginn kennenlernt. Dabei erweisen sich insbesondere die Dialoge zwischen Holden und Debbie zwar als amüsant, aber auch sehr gescriptet und betont an Screwball-Komödien angelehnt. Immerhin aber ist in Debbie auch der Versuch zu sehen, neben Wendy Carr eine Frau in diese Serie zu bringen, die nicht Opfer oder Schuldige ist. Denn schnell finden die FBI-Agenten heraus, dass meist mit der Mutter der Täter das Übel begonnen hat. Ohnehin beweist Mindhunterhinsichtlich Diversität immerhin Problembewusstsein: Als die Einheit vergrößert wird, wird diskutiert, ob ein afroamerikanischer Agent genommen wird. Aber Carr weist darauf hin, dass die meisten Täter „bigoted white men“ seien, „who would never open up to a non-white agent“. Vermutlich wird sich das in der zweiten Staffel ändern, in der es um die Atlanta Child Murders gehen soll.

Ohnehin ist der Umgang mit der Realität in der Serie interessant: Sämtliche Mörder hat es gegeben, sie und ihre Taten sind historischen Vorbildern sehr genau nachgebildet. Innerhalb der Folgen werden immer wieder in weißer Schrift Ortsnamen eingeblendet, die die folgende Handlung verorten. Sie bieten nicht nur Orientierung, sondern auch je nach Serienmörderhistorienkenntnis mehr oder weniger schwierig zu entschlüsselnde Hinweise auf das Geschehen. Konstant sind dabei Bilder von einem Mann aus Park City, Kansas zu sehen. Innerhalb der Serie wird (noch) nicht erklärt, wer er ist, aber wer sich ein wenig mit Serienmördern in den USA auskennt (oder googelt oder auf diesen Link klickt), erkennt darin nicht nur ein Spannungsmoment, sondern auch einen Hinweis, dass Serienschöpfer Joe Penhall die Serie auf einen langen Zeitraum hin angelegt hat. Denn der dort gezeigte Mann wurde erst 2005 gefasst.

Letztlich kann Mindhunter auf vielen Ebenen überzeugen: in Besetzung, in Thema und auch in der Produktion. Das Setting wird von der Ausstattung und Musik unterstützt, pausenlos wird geraucht, sind Chevrolets zu sehen, alles ist in Braun- und Beigetönen gefasst. Dennoch stimmt das Tempo nicht immer, gerade am Anfang setzt Mindhunter sehr auf das Interesse und die Sympathie für Ford, was nicht immer aufgeht. Daher muss man anfangs ein wenig Geduld mitbringen, die ersten beiden Folgen laden nicht unbedingt dazu ein, unbedingt weitersehen zu wollen. Erst ab ungefähr der Hälfte der ersten Staffel nimmt die Serie ein wenig an Tempo auf, hat Ford seine Naivität und Glätte abgelegt, reichen wenige Bilder, um gefährliche Befragungsroutine und Fords zunehmendes Überlegenheitsgefühl deutlich zu machen. Denn diese Serie spielt in einer Zeit, in der Serienkiller noch nicht medial überhöht und verehrt wurden, greift aber durchaus auf die inszenatorischen Mittel zurück: lange Kamerafahrten in Gefängnisgängen, langsame Annäherung der Kamera an den Täter, das Verharren auf seinem Gesicht. Anfangs werden damit der Wagemut und die Gefahr akzentuiert. Doch erst wenn diese auch zur Routine geworden sind, kann man sich interessanten Themen widmen – und sich zugleich der weitaus größeren Gefahr nähern: diese Männer zu unterschätzen.

Mindhunter (TV-Serie, 2017)

Die für Netflix produzierte Serie Mindhunter, der neueste Streich von David Fincher, der produziert und bei drei der Episoden auch Regie führen wird, spielt im Jahre 1979 und handelt von den beiden ungleichen FBI-Agenten Holden Ford und Bill Tench, die gemeinsam auf die Spur eines Serienkillers angesetzt werden. Die Serie basiert auf dem Sachbuch Mindhunter: Inside the FBI’s Elite Serial Crime Unit von John Douglas und Mark Olshaker.

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