Mein Weg nach Olympia

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Keine Berührungsängste

„Sport ist doof und die Paralympics sind eine blöde Idee“, sagt Niko von Glasow, Regisseur des Dokumentarfilms Mein Weg nach Olympia. Zumindest ist das seine Einstellung, als die Idee, einen Film über die Paralympischen Spiele zu machen, an ihn heran getragen wird. Wenn einer einen Kinofilm über das Thema Sport mit Behinderung macht, dann doch bitte Deutschlands einziger kurzarmiger Regisseur. Das dachten sich vielleicht die verantwortlichen Redakteure. Aber Niko von Glasow ist Leistungssport (eigentlich: Sport als solcher) eher suspekt und die Paralympics hat er im Verdacht, nicht mehr als eine große Show zu sein, um von den wahren Problemen abzulenken, die die Gesellschaft im Umgang mit Behinderten hat.
Der Filmtitel ist also doppeldeutiges Programm: Mein Weg nach Olympia erzählt natürlich von Sportlern, die an den Paralympics 2012 teilnehmen. Ebenso steht aber der Regisseur selbst im Fokus, wie er sich augenzwinkernd unwillig und extrem neugierig an das Thema und seine Protagonisten heranpirscht. Letztere fordert er mit fröhlicher Impertinenz, Offenheit und bissigem Humor heraus. In Michael-Moore-Manier bedrängt er die Leute, agiert unbekümmert zwischen nonchalant und nervig, ist gerade heraus und immer ehrlich am Gegenüber interessiert. Auf Interviews kann er verzichten, die Dialoge und Gespräche, die sich mal wie von selbst entwickeln, mal durch freches Nachbohren provoziert werden, vermitteln mehr, als ein statisches Frage-Anwort Spiel hervorbringen würde.

Die Athleten, denen er sich annähert, haben zwar ein gemeinsames Ziel ins Auge gefasst, aber sie könnten in ausgeübter Sportart und Charakter unterschiedlicher nicht sein: da ist Greg Polychronidis aus Griechenland, der Boccia spielt und die Bälle dabei mit einem an seiner Stirn befestigten Stab von einer hohen Rampe aus ins Rollen bringt. Er sitzt im Rollstuhl, weil er unter einer degenerativen Muskelerkrankung leidet – und er weiß, dass er irgendwann daran sterben wird. Die Deutsche Christiane Peppe ist eine muskelbepackte, selbstbewußt auftretende Schwimmerin. Dass ihr ein Bein fehlt, fällt im Wasser erst auf den zweiten Blick auf. Die Tischtennis-Spielerin Aida Husic Dahlen wohnt bei ihren Adoptiveltern in Schweden. Den Krieg in Ex-Jugoslawien hat sie nicht unbeschadet überstanden. Von den Mitgliedern des Sitzvolleyball-Teams aus Ruanda haben viele durch Landminen Gliedmaßen verloren. Und schließlich ist da noch der ebenfalls kurzarmige US-Amerikaner Matt Stutzman, ein Waffen-Narr, der seinen Bogen perfekt mit den Füßen handhabt.

Niko von Glasow besucht sie alle in ihrem Trainingsalltag, in ihrem Zuhause, mit der Familie, er selbst rückt auch schon mal gemeinsam mit seinem Teenager-Sohn an. Und er kommt den Menschen dabei wirklich näher. So ist Mein Weg nach Olympia kein menschelnder Film über Behindertensport, vielmehr eine unterhaltsame Reise hin zum Selbstverständnis der Porträtierten, allesamt Menschen mit Ambitionen, Umfeld und Vergangenheit, die mit viel Energie ihr Schicksal meistern. Obwohl natürlich Boccia gespielt und Bogen geschossen wird – was auch mal in Superzeitlupe zelebriert wird – dreht sich nicht alles um den Sport. Von Depressionen bis zur Angst vor dem Tod, vom Konflikt zwischen Hutu und Tutsi bis zu US-amerikanischen Waffengesetzen, der Regisseur interessiert sich für die Geschichte der Sportler. Er scheut sich nicht, unangenehme Themen anzuschneiden, genauso wie er auch kein Problem damit hat, sich vor der Kamera einfach Mal zum Kasper zu machen. Berührungsängste kennt Niko von Glasow (NoBody’s Perfect) keine. Letztendlich ist das Kalkül der Redakteure aufgegangen: Obwohl Mein Weg nach Olympia in der zweiten Filmhälfte etwas an dramaturgischer Stärke und Stringenz verliert, hat der Regisseur mit den aufgrund von Contergan verkürzten Armen einen erfrischenden, sehenswerten Dokumentarfilm mit eigenwilligem Zugang abgeliefert. Aber das hätte ein Charakter wie von Glasow vielleicht sogar mit langen Armen hinbekommen.

Mein Weg nach Olympia

„Sport ist doof und die Paralympics sind eine blöde Idee“, sagt Niko von Glasow, Regisseur des Dokumentarfilms „Mein Weg nach Olympia“. Zumindest ist das seine Einstellung, als die Idee, einen Film über die Paralympischen Spiele zu machen, an ihn heran getragen wird.
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