Marieke und die Männer

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Vaterlose

Zwölf Jahre ist es her, dass Marieke (Hande Kodja) ihren Vater verlor – damals war sie 8 Jahre alt und den Schock, dass ausgerechnet sie es war, die ihren Vater leblos in der Badewanne auffand, hat sie allenfalls verdrängt, aber sicher nicht verarbeitet. Heute ist sie 20 und findet ihren Weg ins Leben nicht so recht. Noch lebt sie bei ihrer Mutter (Barbara Sarafian), geht mehr oder minder lustlos ihrem Job in einer Pralinen-Manufaktur nach und sucht nach der Nähe von alten Männern, mit denen sie schläft und die sie immer wieder fotografiert, um anschließend die fragmentarisierten Körper neu anzuordnen. Auf diese Weise versucht sie das zu verarbeiten, über das sie mit ihrer Mutter nicht reden kann – den Tod des Vaters. Die Erstarrung löst sich erst, als Jacoby (Jan Decleir), der frühere Verleger ihres Vaters und der Geliebte ihrer Mutter zurückkehrt. Durch die Begegnung mit ihm und eine Rückkehr in das Haus, in dem das Unglück seinen Lauf nahm, beginnt sich Marieke daran zu erinnern, über was bislang der Mantel des Schweigens und Vergessens gebreitet war.
Zwei Songs sind es, die Sophie Schoukens aufregendem Regiedebüt Marieke und die Männer / Marieke Marieke seinen unbestreitbar musikalischen Grundton verleihen – der eine ist Bart Howards Fly Me To The Moon, zu dessen Klängen Marieke am Anfang des Films mit einem ihrer alten Liebhaber in einer Kneipe tanzt. Beinahe heiter und romantisch-versponnen kommt einem die junge Frau da noch vor, vielleicht ein wenig leichtfertig. Wenn am Ende Jacques Brels titelgebendes Chanson Marieke Marieke erklingt, zeichnet dessen sanft-wütende Verzweiflung genau jene Seelenzustände nach, die auch Marieke im Film erleiden musste:
„Ohne Liebe, warme Liebe / weht der Wind, der stumme Wind. / Ohne Liebe, warme Liebe / weint die See, die graue See.
Ohne Liebe, warme Liebe / scheint das Licht, als düstres Licht. / Es scheuert Sand / über mein Land, / mein flaches Land, / mein Flandernland.“


Wegen Brüssel als Ort der Handlung und Mariekes Vorliebe für ältere, nein alte Männer fühlt man sich bisweilen an Nanouk Leopolds wundervoll erratisch-flimmerndes Drama Brownian Movement erinnert, doch sowohl ästhetisch wie auch inhaltlich gehen die belgische Debütantin und die niederländische Regisseurin nur scheinbar ähnliche, in Wirklichkeit aber grundverschiedene Wege, die sich nicht nur in den unterschiedlichen Lichtstimmungen (Marieke und die Männer ist ungleich dunkler geraten als Brownian Movement) ausdrücken.

Wo Nanouk Leopolds in sorgsamen Tableaus arrangierte Bilder keinerlei Erklärungen für das Handeln ihrer Protagonistin geben und bei genauerer Betrachtung ein klares Muster bei der Partnerwahl der Ärztin nicht auszumachen ist, sind die Motivationen bei Sophie Schoukens ungleich deutlicher erkennbar als Kompensationen eines früh erlittenen und niemals verarbeiteten Verlustes, der sich mühsam seinen Weg ins Licht des Bewusstseins bahnt. Im Prinzip schildert Marieke und die Männer nichts anderes als den schmerzhaften Weg einer psychoanalytischen Therapie — indem der Film zunächst die Symptomatik seiner Hauptperson beschreibt, um diese dann anschließend in assoziativen Erinnerungsbildern auf den einen Moment der Erkenntnis hinauslaufen zu lassen, nach dem die Ablösung von den alten Denkmustern überhaupt erst möglich geworden ist. Beachtlich dabei ist freilich, dass Schoukens Mariekes Verhalten niemals eindeutig als krankhaft oder als abweichend im moralisch-gesellschaftlichen Sinne kennzeichnet (wenn man von einem Wutausbruch in der Pralinen-Fabrik einmal absieht) und verurteilt. Erst nach und nach beginnt man die ganze Dimension des Schauspiels zu begreifen, dem man zuvor beigewohnt hat – angesichts des Themas ist Schoukens´ Behutsamkeit und ihr Vermeiden jeglicher Form des Voyeurismus umso höher einzuschätzen.

Ob man nun Leopolds oder Schoukens Werk den Vorzug gibt, ist einerlei – vielmehr können beide Filme bestens nebeneinander (be)stehen. Ihre Zärtlichkeit und die unterschwellige Emotionalität, ihre Langsamkeit und Behutsamkeit, mit der sie sich an ihr Thema annähern und ihre Achtung vor den beschädigten Seelen ihre beiden Protagonistinnen macht sie beide sehenswert.

Marieke und die Männer

Zwölf Jahre ist es her, dass Marieke (Hande Kodja) ihren Vater verlor – damals war sie 8 Jahre alt und den Schock, dass ausgerechnet sie es war, die ihren Vater leblos in der Badewanne auffand, hat sie allenfalls verdrängt, aber sicher nicht verarbeitet. Heute ist sie 20 und findet ihren Weg ins Leben nicht so recht.
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