Marie und die Schiffbrüchigen

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Mit Anfang 30 haben die meisten Menschen schon einiges ausprobiert und dennoch befinden sich in diesem Alter viele noch nicht auf einem Weg, der sie auch wirklich überzeugt. Die ersten Karriereträume sind vielleicht bereits zerplatzt, Liebesbeziehungen, die einmal so stabil erschienen, ebenfalls. Womöglich macht sich angesichts der vielen Wege, die eingeschlagen werden können, unschlüssiges Zögern breit. Siméon (Pierre Rochefort) hatte schon mehrere Beziehungen, er ist geschiedener Vater eines Mädchens, er war Redakteur, verlor die Stelle – und trotzdem ist er nicht 50 Jahre alt, sondern gerade mal 32. Das fantasievoll verspielte Drama Marie und die Schiffbrüchigen von Regisseur Sébastien Betbeder begibt sich mit Siméon in ein ungewisses romantisches Abenteuer. Siméon will mit Marie (Vimala Pons) zusammenkommen, in die er sich verliebte, als er ihr ihre auf der Straße gefundene Geldbörse zurückgab. Zwei weitere Personen werden ihre angestammten Wege verlassen und ihm auf eine Reise folgen, die auf ein schicksalhaftes Zusammentreffen zusteuert.
Aber was heißt schon schicksalhaft, wenn es angesichts der vielen Formen, die ein lebensnahes Drama annehmen kann, vielleicht bessere Alternativen als das tragische Ende oder den im Kitsch versinkenden Spannungsbogen gibt? Betbeders Film handelt auch von Geschichten, denen wir unbewusst folgen, bis wir ihren Kurs selbst ändern. Der potenzielle Bösewicht, der Siméons Glückssuche durchkreuzen will, heißt Antoine (Eric Cantona) und ist Schriftsteller. Als seine große Liebe und Muse Marie ihn verließ, feierte er gerade Erfolge mit seinem ersten Roman. Dann verblasste sein Stern.

Der eifersüchtige, deutlich ältere Antoine folgt Siméon heimlich durch Paris, um zu sehen, ob es nach der Börsenübergabe zu weiteren Rendezvous mit Marie kommt. Die Situation inspiriert ihn zu einem neuen Roman, der auf das Interesse seines Verlegers stößt. Siméon aber folgt Marie spontan und ebenfalls heimlich in die Bretagne, auf die Île de Groix. Nun klopft Antoine bei Oscar (Damien Chapelle), Siméons bestem Freund und WG-Mitbewohner, an und will wissen, wohin der Verliebte gefahren ist.

Welche Motive Antoine hat, ob er Siméon töten oder nur weiteren Stoff für seinen Roman sammeln will, ist unklar. Der Film selbst schneidet immer wieder neue Geschichten an, statt sich nur auf Siméons Reise zu konzentrieren. Auch Oscar hat ein Problem, er ist nämlich Schlafwandler und fürchtet sich davor, was er nachts alles anstellen könnte. Der sympathische, von Damien Chapelle gut gespielte Oscar ist für einen großen Teil der Komik zuständig, die den versponnenen Film auflockert.

Immer wieder serviert die Inszenierung eine Überraschung. So fängt Siméon nach dem Fund der Geldbörse auf der Straße plötzlich an, dem Filmpublikum von sich zu erzählen. Eine ganze Weile folgt die Handlung dann seinem mit Fotos und Rückblenden visualisierten Bericht. Später bekommen auch Antoine und Marie solche autobiografischen Voice-Over-Einlagen. Sie belegen, wie beiläufig, witzig, grotesk, zufällig die Weichenstellungen im Leben oft zustande kommen. Marie verdankt ihren Job als Fotomodell, mit dem sie nicht besonders glücklich ist, übrigens ihrer ehemaligen Vermieterin und Vertrauten Suzanne, gespielt von der 2017 verstorbenen Emmanuelle Riva in einer ihrer letzten Rollen.

Marie dient auch dem alten Komponisten Cosmo (André Wilms), der wie ein aus dem Weltall gefallener New-Age-Prophet auftritt, als Muse. Manchmal bricht sich, nicht nur rund um Cosmo, die Fantasie Bahn und gibt dem Geschehen für kurze Zeit einen surrealen Anstrich. Den Protagonisten hilft neben Musik und Tanz auch die von der Sehnsucht befeuerte Vorstellungskraft, die schon mal die Sinne täuschen kann, ihre gedanklichen Blockaden zu lösen. Der Film plädiert jedenfalls dafür, aus eingefahrenen Bahnen auszuscheren und offen für Begegnungen zu sein. Dabei bleibt er rätselhaft, denn der Regisseur schickt seine Charaktere ganz entspannt auf Wege, die nicht zwingend, sondern ausgesprochen subjektiv erscheinen.

Marie und die Schiffbrüchigen

Marie sei gefährlich, so hatte ihn Antoine gewarnt, aber natürlich kann Siméon es dennoch nicht lassen, der Angebeteten heimlich zu folgen — nur um irgendwann feststellen zu müssen, dass er nicht allein ist mit seinem Wunsch, Marie nahe zu sein. Und so befindet sich bald eine ganze Gruppe auf einer Insel am Ende der Welt. Was hat sie eigentlich hierher geführt? Eine geheime Verbindung, das Schicksal gar? Oder war es der Wunsch nach Romantik und Abenteuer?
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