Margaret

Eine Filmkritik von Lida Bach

Spuren der Vergänglichkeit

Kaum etwas lässt zwei Menschen so rasch und vollkommen zu Verbündeten werden wie ein geteiltes Gefühl über die gleiche Sache. Und kaum ein Band reißt so schnell und endgültig wie ein so achtlos geknüpftes. Kenneth Lonergan weiß um die Unzuverlässigkeit der Beziehungen, die sein subtiles Personendrama Margaret erforscht, und er weiß um den Schmerz innerer Brüche. Ein solcher Bruch, qualvoll und für die junge Lisa Cohen (Anna Paquin) erschütternd greifbar bei einem tödlichen Verkehrsunfall auf offener Straße, ist der erste der großen und kleinen Verluste, mit denen die 17-Jährige umgehen muss.
Schwerer als das Scheiden von realen Menschen ist für die durch ein trügerisch behütetes Oberschichtleben irrende Hauptfigur das Scheiden von kindlichen Wunschbildern und Illusionen, die bei der ersten Begegnung mit der Vergänglichkeit auf Nimmerwiedersehen verfliegen. Lisa, die einen Cowboyhut für den geplanten Urlaub mit ihrem entfremdeten Vater (gespielt vom Regisseur Kenneth Lonergan selbst) an einem Busfahrer (Mark Ruffalo) entdeckt, und den Zuschauer, der sich von der leichtherzigen Anfangsstimmung einlullen lässt, trifft dieser Moment gleichsam unvorbereitet. So plötzlich, wie der von Lisas Gesten abgelenkte Busfahrer an einer Ampel eine ältere Fußgängerin anfährt. „Ich schätze, es war grün“, sagt Lisa später, als die Polizei den Unfall aufnimmt. Es war auch grün; doch für die Passantin und nicht den Fahrer, wie eine flüchtige Rückblende enthüllt. „Denk an die Bedeutung dessen, was du sagst“, so wird Lisa von einem Schullehrer ermahnt. Doch einander Zuzuhören oder die Bedeutung der Worte des anderen zu erfassen, ist nicht die Stärke der Figuren. In den Dialogen liegt eine unterschwellige Aggressivität, die jederzeit hervorbrechen kann und die Gespräche zu potentiellen Kämpfen macht.

Indem sie die Schuld auf das Opfer schiebt, befreit Lisa indirekt sich selbst von einer Mitschuld, die dafür hinterrücks über sie herfällt. Ihr jüngerer Bruder Curtis (Cyrus Hemstadt) und ihre egozentrische Mutter Joan (Lonergans reale Ehefrau J. Smith-Cameron), die eine unerfüllte Beziehung mit ihrem neuen Partner Ramon (Jean Reno) mangels besserer Alternativen hinnimmt, besitzen kein Einfühlungsvermögen oder Interesse für Lisas Erschütterung. Um sie zu bewältigen, strengt Lisa einen Gerichtsprozess gegen den Busfahrer an. Durch seine Verurteilung hofft Lisa sich von ihrem Gewissen freizukaufen und zurückzuerlangen, was sie verloren hat: ihre Unbedarftheit. Einen Elternersatz für ihre divenhafte und melodramatische Mutter findet sie zeitweise in Emily (Jeannie Berlin), der besten Freundin der Toten. Deren blutiges Ende unter Lisas Augen konfrontiert das junge Mädchen mit der ganzen Brutalität und Gleichgültigkeit des alltäglichen Lebens, das einfach weitergeht, als wäre nichts geschehen.

Die Tote könnte Margaret sein, doch sie heißt Monica Patterson (Allison Janney). Ihr Name wird zunehmend zum Synonym für verkappte Profitgier und Unaufrichtigkeit gegenüber anderen und sich selbst. Die Titelfigur ist die eines Gedichtes von Gerard Manley Hopkins, dass Lisas Englischlehrer (Matthew Broderick) vorliest. Es beschreibt ein Mädchen, das beim Fall des Laubs die Endlichkeit allen Lebens erkennt: „…as the heart grows older, it will come to such sights colder.“ Eine dieser kalten Feststellungen der filmischen Elegie ist, dass die Gewissheit des eigenen unausweichlichen Todes als tragischer empfunden wird, als der Tod Fremder. Auch, wenn letzterer verstörend brutal und hautnah eintritt wie der Monicas. Die Eindruckskraft des Ereignisses auf die Hauptfigur rührt nicht zuletzt daher, dass er dem Höhepunkt eines Bühnenstücks gleicht. Die Kunst spendet den Charakteren nicht nur Trost, sondern wird letzter emotionaler Anknüpfungspunkt in einer Welt, in der jeder nur die Tragödien seines privaten kleinen Dramas beklagt.

Margaret

Kaum etwas lässt zwei Menschen so rasch und vollkommen zu Verbündeten werden wie ein geteiltes Gefühl über die gleiche Sache. Und kaum ein Band reißt so schnell und endgültig wie ein so achtlos geknüpftes. Kenneth Lonergan weiß um die Unzuverlässigkeit der Beziehungen, die sein subtiles Personendrama „Margaret“ erforscht, und er weiß um den Schmerz innerer Brüche.
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