Madeinusa - Das Mädchen aus den Anden

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Ein gewagtes Zerrbild postkolonialer Realitäten

Im abgelegenen Manayaycuna in der peruanischen Andenregion bereitet sich die Dorfgemeinschaft auf die Heilige Zeit um Ostern vor, das wichtigste Fest des Jahres. Doch einer vollständigen Christianisierung zum Trotz haben die Bewohner ihre eigene Tradition entwickelt, diese Feiertage zu zelebrieren, deren Gestaltung und Exzesse einem wilden, rauschhaften Schauspiel gleichen, denn alle Sünden, die während dieser Tage begangen werden, bleiben ungestraft dem Blick Gottes entzogen. Wenn Jesus seine Augen am Karfreitag schließt, kann er bis zu seiner Auferstehung am Ostersonntag nun einmal nichts sehen, so dass ungehemmt und mit viel Maisbier buchstäblich die Sau herausgelassen wird. Dann allerdings werden die Vorbereitungen gestört, denn ein Fremder verirrt sich in das Dorf, und dieser attraktive junge Mann aus Lima verkörpert die nahezu mythische Freiheit des Fortschritts und der großen Welt, die plötzlich zu einer Bedrohung für die archaische Lebensweise in den Anden wird. Eine dramatische Entwicklung im Taumel des Festes nimmt ihren Anfang…
Als der Photograph Salvador (Carlos de la Torre) versehentlich nach Manayaycuna verschlagen wird, findet er sich unvermittelt in einem eigenartigen Mikrokosmos jenseits der gewohnten Zivilisation wieder, dem er zunächst einmal ausgeliefert ist, denn hier gibt es weder Strom noch moderne Kommunikationsmittel, und das nächste Telefon ist mehrere Tage Fußmarsch entfernt. So erlebt er dort, argwöhnisch von den Dorfbewohnern beäugt, die surrealistisch anmutenden Anbahnungen der österlichen Feierlichkeiten, bis er als offensichtlicher Störenfried vom Gemeindepräsidenten Cayo (Ubaldo Huamán) in dessen Haus inhaftiert wird. Doch gerade dort ist er der jungen Madeinusa (Magaly Solier), Cayos Tochter, besonders nah, die eine starke Faszination auf ihn ausübt.

Madeinusa lebt mit ihrer herrischen Schwester Chale (Yiliana Chong) und ihrem autoritären Vater zusammen, seit ihre Mutter der dörflichen Enge nach Lima entflohen ist. Auch wenn sie unter den Mädchen der Gemeinschaft als würdig auserwählt wird, die begehrte Rolle der „Heiligen Jungfrau“ innerhalb der Zeremonien zu übernehmen und die Spitze der bunten Prozessionen anzuführen, fühlt sie sich dabei und insgesamt in ihrem Leben unglücklich und eingesperrt. Mit dem Erscheinen Salvadors befällt Madeinusa zum ersten Mal die Hoffnung, aus ihrem tristen Dasein auszubrechen, und sie ist sofort bereit, gemeinsam mit ihm nach Lima zu gehen, um dort vielleicht auch ihre Mutter wiederzusehen. Doch diesen Plan will ihr Vater unbedingt zerschlagen, zumal er selbst ein begehrliches Auge auf seine hübsche Tochter geworfen hat, denn es gehört zu den grausamen Gepflogenheiten des Festes, dass heranwachsende Mädchen von ihren Vätern entjungfert werden. Madeinusa aber ist entschlossen, ihren eigenen Weg zu wählen, und diesen auf Leben und Tod freizukämpfen…

Madeinusa — Das Mädchen aus den Anden ist das spektakuläre Debüt der peruanischen Regisseurin Claudia Llosa um die Emanzipation eines jungen Mädchens der indigenen Bevölkerung der Anden und entwirft dabei das drastische Szenario einer von der übrigen Welt abgekoppelten fiktiven Dorfgemeinschaft mit äußerst repressiven Strukturen und Ritualen. Die Protagonisten rekrutieren sich aus Menschen dieser Region, die nahezu alle das erste Mal vor einer Kamera agieren, was der Geschichte ein hohes Maß an Authentizität verleiht. Llosas Motivation und Thema ist die Annäherung an eine Kultur, die um ihr Überleben kämpft, sowie die Demaskierung ihrer kolonialistischen Elemente, die sich beispielsweise sehr anschaulich im Namen der Hauptfigur niederschlagen. Madeinusa, der Etikettierung „Made in USA“ entlehnt, ist besonders in Regionen mit hoher Analphabetismusquote neben anderen wie Darling oder JohnFKennedy ein durchaus üblicher Name – ein unbeabsichtigter Zynismus, der die postkoloniale Realität transportiert.

Die junge Regisseurin (Ja, sie ist mit dem Literaten Mario Vargas Llosa verwandt, er ist ihr Onkel) begibt sich damit auf eine Gradwanderung zwischen nahezu dokumentierender Präzision und andererseits extrem gestalteter Fiktion, woraus ein beeindruckendes Erstlingswerk entstanden ist, das beim Zuschauer ambivalente Empfindungen hervorruft. Ist Madeinusa — Das Mädchen aus den Anden auch beim perunanischen Publikum teilweise auf die Kritik stereotyper Darstellung der indigenen Bevölkerung gestoßen, wurde der Mut Claudia Llosas zu einer satirischen und enttabuisierenden Überzeichnung derselben international auf zahlreichen Festivals – zuletzt auf dem Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund/Köln – mit Auszeichnungen belohnt. Doch wie auch immer die Zuschauer sich positionieren, bleibt Madeinusa — Das Mädchen aus den Anden ein eigenwilliger und auch wichtiger Film sowie einer der wenigen, die es wagen, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den desolaten Lebensbedingungen der indigenen Völker und ihrer fremdbestimmten Geschichte herzustellen.

Madeinusa - Das Mädchen aus den Anden

Im abgelegenen Manayaycuna in der peruanischen Andenregion bereitet sich die Dorfgemeinschaft auf die Heilige Zeit um Ostern vor, das wichtigste Fest des Jahres.
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Meinungen

Prinz · 12.01.2007

War selbst oft im peruanischen Hochland und finde er transportiert gelungen die ambivalente Stimmung die man in den Bergdörfern spürt. Misstrauische Blicke mischen sich mit wunderschöner Landschaft. Auch veranschlicht er gut den Charakterzug vieler Peruaner: Kurzfristiges, extrem egoistisches Denken - der Grund warum sich die Kultur seit Jahrhunderten (leider) nicht entwickelt. Toller Film.

Brigitte · 13.11.2006

Ich finde den Film anmaßend und verlogen.
Claudia Llosa kommt aus einer völlig anderen Gesellschaftsschicht, die sich kulturell total von der Andenkultur unterscheidet.
Sie entwirft durch ihren Film ein Bild von der Andenbevölkerung, die eine Beleidigung der Andenmenschen sind.
Die Rituale, das Leben, das gezeigt wird, ist fiktiv. Der Film gibt aber den Anschein von dokumentarischem Hintergrund. Das ist für meine Begriffe verlogen und verbreitet ein Bild von Andenmenschen, die den Kinogängern suggeriern, dass es sich um ein authentisches Leben handelt.
Der Film ist elitär, produziert von einer Filmemacherin aus einer weißen Oberschicht.