Ma Folie

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wahnsinnig verliebt

Ein leichtfüßiger Beginn wie in einem französischen Liebesfilm, ein Ende wie in einem Paranoiathriller. Die Haneke-Schülerin Andrina Mračnikar legt mit ihrem Spielfilmdebüt Ma Folie einen stillen Genrezwitter vor, der auch lange nach dem Kinobesuch noch im Gedächtnis bleibt.
Hanna (Alice Dwyer) nimmt sich eine Auszeit. Nach dem Ende ihrer Beziehung mit Goran (Oliver Rosskopf) ist die Wiener Pädagogin für ein paar Tage nach Paris gereist. Die Kamera folgt ihren roten Stiefeln über das nasse Pflaster in ein Café. Hannas Blick zum Nebentisch verrät, dass sie nichts gegen ein Gespräch mit dem dort sitzenden Yann (Sabin Tambrea) hätte. Doch der zögert. Als Hanna das Café verlässt, blickt sie sich mehrmals um. Erst ein paar Meter später holt Yann sie schließlich ein. Noch bevor er einen Ton herausbringt, schneidet der Film zu seinem Titel. Und das Publikum weiß, dass eine Liebesgeschichte folgt. Oder doch nicht? Die zwei Wörter im Titel, die auf Deutsch „meine Verrücktheit“, aber eben auch „mein Wahnsinn“ bedeuten, lassen zumindest Schlimmes erahnen.

Bereits die Eingangsequenz veranschaulicht Andrina Mračnikars ausgeklügelte Narration. Die Regisseurin und Drehbuchautorin spielt mit den Erwartungen ihrer Figuren, mit denen des Publikums und mit der Frage, welche Erzählperspektive ihr Film überhaupt einnimmt. Nach dem ersten Kennenlernen läuft alles so, wie wir es von einer Liebesgeschichte erwarten. Yann besucht Hanna in Wien, bleibt zunächst länger und schließlich ganz. Die Schmetterlinge im Bauch weichen erster Ernüchterung. Yanns Eifersucht vergiftet die Liebe, schlägt schließlich in Bedrohung um. Und doch können beide nicht voneinander lassen.

Andrina Mračnikar hat Ma Folie als Genrefilm bezeichnet, der von einem romantischen Beziehungsdrama in einen Thriller kippt. Statt von einem (Um-)Kippen sollte man jedoch eher von einem Hinübergleiten sprechen, das Mračnikar so elegant und doppelbödig inszeniert, dass einigen Betrachtern bis zum Schluss nicht klar sein dürfte, was sie gerade gesehen haben. Mračnikar spielt nicht nur mit der Wahrnehmung ihrer Figuren, sondern auch mit der der Zuschauer. Dass Hanna in einem Zentrum für traumatisierte Kinder arbeitet, ist gewiss kein Zufall. Dass Yanns Physiognomie ebenso verführerisch wie dämonisch wirkt, ebenfalls nicht. Was ist wahr, was nur eingebildet? Haben sich alle gegen Hanna verschworen oder ist sie paranoid? Ein wenig ist dieser Liebeswahnsinn auch ein Mindfuck-Film, mit dem löblichen Unterschied, dass er sich im Gegensatz zu seinen berühmten Artverwandten aus Übersee einer eindeutigen Lösung verweigert.

Wenn Hanna an ihrem Verstand zu zweifeln beginnt, schwingt auch immer ein wenig Roman Polanski (Ekel, Der Mieter) mit. Und wenn Yann (auch für das Publikum) unerwartet wieder vor ihrer Tür steht, weht ein Hauch von François Ozons Sous le sable (2000) durch diesen Film. Im Gegensatz zu Polanski spielt Mračnikar aber deutlich subtiler mit dem Genre. Von Ozon könnte sie sich gern noch etwas mehr Poesie abschauen, die in den kurzen Videos, die Yann Hanna schickt, bereits anklingt. Denn in Mračnikars Bildsprache steckt noch recht viel von Michael Hanekes nüchternem Stil, ohne dessen absolute Dringlichkeit zu besitzen. Ein gelungenes Debüt ist Ma Folie aber allemal und ein Versprechen für die Zukunft.

Ma Folie

Ein leichtfüßiger Beginn wie in einem französischen Liebesfilm, ein Ende wie in einem Paranoiathriller. Die Haneke-Schülerin Andrina Mračnikar legt mit ihrem Spielfilmdebüt „Ma Folie“ einen stillen Genrezwitter vor, der auch lange nach dem Kinobesuch noch im Gedächtnis bleibt.
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