London Boulevard

Eine Filmkritik von Lida Bach

Straße der Finsternis

Charlotte ist immer noch groß. Es sind die Filme, die klein geworden sind. Mehr als auf der Leinwand interessiert die Öffentlichkeit das Gesicht der berühmten Schauspielerin (Keira Knightley) auf den Paparazzi-Aufnahmen. Ihre einzige Gesellschaft ist der ehemalige Schauspieler Jordan (David Thewlis), ein Faktotum, dessen bessere Tage im Nebel von Alkohol und Drogen verschwunden sind. Abgeschottet von den neugierigen Augen der Kameras bereitet sich die Film-Diva auf ihre Rückkehr vor. Dafür braucht sie Hilfe von jemandem, der aus weit weniger noblen Kreisen kommt und die Paparazzi fernhält.
Mitchell (Colin Farrell) hingegen braucht keine Dialoge. Er hat ein Gesicht. Sein alter Komplize Billy (Ben Chaplin) sieht darin das eines verlässlichen Schuldeneintreibers für die krummen Geschäfte, die er für den Unterweltboss Gant (Ray Winston) tätigt. Dem überlegten Killer gefällt Mitchell; etwas zu gut für Mitchells Geschmack, der nach drei Jahren Gefängnis mit seiner kriminellen Vergangenheit abschließen will. Ruhe findet Mitchell erst, wenn er die Schläger (Jamie Blackley, Gregory Foreman) gefunden hat, die seinen Kumpel Joe (Alan Williams) auf dem Gewissen haben.

William Monahan ist bereit für seine Nahaufnahme. Für sein Debüt als Regisseur hat der für sein Script zu Martin Scorseses Departed — Unter Feinden mit dem Oscar ausgezeichnete Drehbuchautor einen gepflegten Kriminal-Reißer des Iren Ken Bruen zu einem stilsicheren Neo-Noir umgeschrieben. Auf das heiße Pflaster, auf dem sich egozentrische Stars und raue Schläger zum romantischen Spaziergang begegnen, werfen die Meisterwerke der Schwarzen Serie ihre Schatten, von denen sich der durchkonstruierte Thriller niemals abheben kann. Der abblätternde Glanz unvergessener Hollywood-Werke und das halbseidene Flair britischer Action-Krimis pflastern die cineastische Straße, die vor Monahans Regie-Debüt schon recht häufig begangen wurde. Das Spiel mit Motiven des film noir und des Hard-Boiled-Genres ähnelt in seiner Vergeblichkeit und parodistischer Tragik dem Illusionismus Norma Desmonds.

London Boulevard führt immer weiter fort von den düsteren Villen der Nobelviertel und ihren Bewohnern, die gemeinsam in elegante Totenstarre verfallen, und hin zu den schmutzigen Gassen der Krimis der Sechziger, zu den schonungslos blutigen Slums und räudigen Cockney-Ganoven eines Guy Ritchie.

Der Filmspaziergang besitzt weder die komplexe Spannung von Departed — Unter Feinden noch die morbide Faszination von Wilders Klassiker, nach dem er sich vergebens streckt, und atmet dennoch einen eigenwilligen Charme. Er blitzt im faden Glanz alter Autos und lakonischer Sprüche auf, beiläufig hingeworfen von Charakteren, die für bloße Stereotypen zu überzeugend gespielt sind und für mehr als Gespenster ihrer klassischen Vorbilder zu flüchtig niedergeschrieben. Es prickelt zwischen der Chris Menges Kamera und den nostalgischen Requisiten, die sie umschmeichelt, zwischen Nostalgie und Retro-Soundtrack, nur nicht zwischen Charlotte und Mitchell. Ihre augenscheinliche geistige Verwandtschaft kühlt ihre Romanze fühlbar ab. Beide sind Gefangene und Kinder einer exklusiven Welt. Die scheinbare Verachtung für den eigenen Mikrokosmos ist nur eine Scharade von vielen, die sie zu spielen gewohnt sind. Das Verstellen gehört für beide auf eigene Weise zu ihrem Metier, doch die darin schlummernde Aura des Mysteriösen ist dünn in London Boulevard und rasch abgetragen.

Darunter liegt banale Unentschlossenheit und selbstbetrügerische Heuchelei, doch die Facetten von Egomanie und pathologischer Obsession schimmern nur schwach in der trüben Affäre. Deren dumpfe Melancholie verblasst gegenüber der latent homoerotischen Anziehung zwischen Gant und Mitchell, die einander in ihrer Kaltblütigkeit und Wortkargheit spiegeln. Unter Mitchells belesener Fassade verbirgt sich eine beunruhigende Brutalität und lauernde Aggression. Gewalt ist für ihn eine liebgewonnene Gewohnheit, an der er hängt wie an einem alten Freund. Verzichten will er darauf so wenig wie auf die Literatur, zu der er im Gefängnis gefunden hat. Handlungsort und Figuren fügen sich zu einer filmischen Collage, die das Chiaroscuro nächtlicher Straßen mit dem gleißenden Licht des Londons der späten Sechziger durchbricht. Parodie und Pulp-Poesie verschmelzen in dem von makaberem Humor gespickten Pastiche, das einem cineastischen Potpourri gleicht: manieriert, gefällig und dennoch ein wenig leblos.

London Boulevard

Charlotte ist immer noch groß. Es sind die Filme, die klein geworden sind. Mehr als auf der Leinwand interessiert die Öffentlichkeit das Gesicht der berühmten Schauspielerin (Keira Knightley) auf den Paparazzi-Aufnahmen. Ihre einzige Gesellschaft ist der ehemalige Schauspieler Jordan (David Thewlis), ein Faktotum, dessen bessere Tage im Nebel von Alkohol und Drogen verschwunden sind.
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Meinungen

René Johann Albrecher · 06.12.2011

der film ist erotisch

Gast · 03.12.2011

Der Film war richtig gut. Für mich wird er völlig falsch "angekündigt". Ist eher eine Gangsterkomödie. Hat mich persönlich an "Brügge sehen und sterben" erinnert. Gute Besetzung mit total abgefackten Typen, die mehrere Lacher im Kino verursachten. Also Leute: ansehen!