Le magasin des suicides

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Kaufen Sie, sterben Sie, das ist unser Geschäft!

Das Animationskino kann und darf Dinge tun und zeigen, die der Realfilm nur unter Mühen auf die Leinwand bekommt. Und das liegt nicht unbedingt einmal daran, dass etwas nicht darstellbar sei – das computergenerierte Bild hat vieles möglich gemacht, was noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre (und damit zugleich die Grenze zwischen dem Real- und dem Animationsfilm sehr, sehr durchlässig gemacht). Es gibt vielmehr Dinge, genauer noch: Sujets, die sich mit einer Weltdarstellung in realen Formen nur mit Mühe gelungen angreifen lassen.
Ein solches Sujet wäre wohl eine schwarze Komödie über die Möglichkeit, sich am Selbstmord anderer zu bereichern. Genau dies, die Lebensmüdigkeit ihrer Mitmenschen sichert nämlich in Le magasin des suicides einer ganzen Familie ihr Auskommen, und es lebt sich eigentlich sogar recht gut davon in ihrer namenlosen Stadt, die viel Frustration und Trauer, vor allem aber auch viel Ähnlichkeit mit der französischen Hauptstadt hat. Aber so ganz fern vom Leben sind die Eltern nicht – neben zwei Teenagern, die ganz im Sinne des Familiengeschäfts ebenfalls nicht sehr froh ihrer Wege gehen, erwartet man ein drittes Kind, und das bereitet der Familie eine wahrhaft unangenehme Überraschung: es lächelt. Und freut sich seiner Existenz, des Lebens und überhaupt aller Dinge, die da sind, er ist schier nicht traurig zu kriegen.

Der Einbruch der Lebensfreude ins Geschäft mit dem Tod: Das kann ja nicht gutgehen, ganz kapitalistisch gesehen. Denn unter der sehr schwarzhumorigen Oberfläche dieses Films verbirgt sich natürlich eine Kritik an den wirtschaftlichen Zuständen: zahlreiche von den Häusern stürzende Geschäftsleute rufen nicht nur den Schwarzen Freitag von 1929 als Bezugspunkt auf, der Kapitalismus ermöglicht es hier ja im ganz wörtlichen Sinne, aus dem Unglück anderer Menschen noch Profit zu ziehen. Anschreiben geht in diesem Laden natürlich nicht, und auch Reklamationen unzufriedener Kunden hat es eigentlich noch nie gegeben.

Zugleich frisst sich hier das Monstrum ja selbst, dass sich aus der Vernichtung seiner eigenen Käufer nährt – und die Lebensfeindlichkeit des Geschäfts scheint eben auch mehr und mehr auf die Menschen abzufärben, die das Geschäft betreiben und damit implizit, aber deutlich auf eine Zukunft hinarbeiten. Denn warum sollte man sonst den Laden aufschließen? In seiner letzten Konsequenz, in den Ecken der radikalen Marktwirtschaftlichkeit wird der Kapitalismus also zu einem nicht nur grausamen, sondern auch widersprüchlichen System. Marx hätte sich dennoch im Grabe umgedreht.

Und das zum gemeinsamen Gesang aller Figuren. Denn der fleißige Patrice Leconte hat seine Verfilmung eines Romans von Jean Teulé als Musical angelegt und sich dafür eine große Scheibe von Tim Burton und Stephen Sondheim abgeschnitten, wenn auch ohne die Blutigkeit ihres Sweeney Todd – zugleich ist aber Sondheims Stück auch musikalisch wie inhaltlich noch einen ganzen Schwung komplexer als Lecontes Animation. Dazu trägt auch bei, dass es Le magasin des suicides ein wenig an klarer Struktur fehlt und die Geschichte einige Umwege geht, die nirgendwo hinführen. Dafür kann man sich an der traditionell wirkenden Animation erfreuen, eine fast schon papieren erscheinende Flächigkeit (gleichwohl in 3D), die aus den bonbonbunten Animationsmassen angenehm hervorsticht.

Am Ende wird alles gut, denn die Lebensfreude, die hier zuerst als Freude über die eigene Körperlichkeit ansteckt und dann natürlich sich in Liebe äußert, siegt, wie’s sich gehört, über die Todessehnsucht. Süßliche Auflösung aber sucht man vergebens, denn hier wie im Leben heißt es: Das Geschäft muss weitergehen.


Le magasin des suicides

Das Animationskino kann und darf Dinge tun und zeigen, die der Realfilm nur unter Mühen auf die Leinwand bekommt. Und das liegt nicht unbedingt einmal daran, dass etwas nicht darstellbar sei – das computergenerierte Bild hat vieles möglich gemacht, was noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre (und damit zugleich die Grenze zwischen dem Real- und dem Animationsfilm sehr, sehr durchlässig gemacht).
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