Last Flag Flying (2017)

Eine Filmkritik von Rainer Kienböck

Von alten Männern und wehenden Flaggen

Richard Linklater hat im Laufe seiner Karriere bereits einige Filme gemacht, die nur schwer mit seinem Image als Spezialist für persönliche Beziehungsdramen mit philosophischer Note vereinbar sind: Seine erste Regiearbeit für ein großes Studio, The Newton Boys (1998) über die gleichnamige Western-Gang, ein etwas verlorenes Projekt zwischen Spätwestern, Gangsterfilm und Komödie; ein Remake des 1970er-Jahre-Klassikers Bad News Bears (2005) über ein Kinder-Baseballteam und dessen griesgrämigen Alkoholiker-Trainer; Fast Food Nation (2006), die Verfilmung eines Sachbuchs über die dunklen Seiten der Lebensmittelindustrie, von Linklater als melancholisches Einwandererdrama interpretiert; oder Me and Orson Welles (2008), in der Zac Efron — kurz nach seinem Durchbruch mit High School Musical (2006) — in einer Rolle als Jungschauspieler in den 1930ern auf Orson Welles in seiner Zeit am Mercury Theater trifft.

In den fast dreißig Jahren seiner Filmemacherkarriere hat sich Linklater also eine höchst wechselhafte Filmografie erarbeitet, trotzdem wird er vor allem in Europa als einer der größten Regisseure des amerikanischen Indie-Kinos gefeiert. Sein neuestes Werk Last Flag Flying gibt weiteren Anlass, an dieser Einordnung zu zweifeln. Linklaters Filme waren nie frei von Pathos und Melancholie. Selbst jene seiner Filme, die am besten von der Kritik aufgenommen wurden, wie die Before-Reihe (1995-2013), Dazed and Confused (1993) oder Boyhood (2014), kommen nicht ohne Momente dramatischer Zuspitzung und großspuriger Monologe zum Sinn des Lebens aus. Die Zuspitzungen und Monologe in Last Flag Flying sind allerdings anderer Natur — der Film ist durchsetzt von amerikanischem Militärpatriotismus, der Pathos zielt auf die Tränendrüsen.

Wir schreiben das Jahr 2003. Am Anfang des Films trifft Larry „Doc“ Shepherd (Steve Carell) in Norfolk im US-Bundesstaat Virginia ein. Er besucht die Bar von Sal Nealon (Bryan Cranston), mit dem er vor Jahrzehnten gemeinsam im Vietnam-Krieg gedient hat. Die beiden haben sich seit ihrer gemeinsamen Zeit beim Marine Corps, die mit der unehrenhaften Entlassung Larrys und einer Gefängnisstrafe endete, nicht mehr gesehen. Sals Soldatenkarriere wurde etwas später durch Alkohol und einen Arbeitsunfall beendet. Die beiden ehemaligen Waffenbrüder trinken die Nacht durch, am nächsten Morgen kann Larry Sal dazu überreden, einen Roadtrip zu unternehmen. Larry lotst sie zu einem weiteren Kameraden aus Kriegszeiten, Richard Mueller (Laurence Fishburne), der Sal früher in Sachen Alkohol- und Drogenkonsum in nichts nachstand, aber sein lasterhaftes Leben aufgegeben hat und nun als Pastor tätig ist. Erst im Haus von Mueller spricht Larry über den Grund dieses Wiedersehens — sein eigener Sohn war ebenfalls dem Marine Corps beigetreten und ist im Irak-Krieg „als Held gefallen“. In den kommenden Tagen soll sein Leichnam in den USA eintreffen und am Soldatenfriedhof in Arlington begraben werden. Larry hat die beiden alten Freunde aus Armeetagen aufgesucht, um sie zu bitten, ihm in dieser schweren Zeit beizustehen. Sowohl der impulsive Sal als auch der neuerdings pflichtbewusste Mueller stimmen zu, ihn zu begleiten. Alle Voraussetzungen für ein Road Movie sind damit gegeben.

Mit Sals Wagen machen sich die Drei auf den Weg: Mueller, der Mann Gottes mit Krückstock, der saufende und rauchende Taugenichts Sal und der vom Schicksal gezeichnete, introvertierte Larry, der erst vor kurzem seine Frau verloren hat. Im Laufe des Films werden dann nach und nach die dunklen Seiten ihrer gemeinsamen Zeit in Vietnam aufgedeckt, in der Alkohol, Morphium und Freudenhäuser eine bedeutende Rolle gespielt haben. Dazwischen entstehen aus dem krassen Gegensatz der Gottesfurcht Muellers und der blasphemischen Ader Sals immer wieder komische Momente. Eine politische Dimension bekommt der Film, wenn die drei Veteranen über die Sinnlosigkeit ihres Kriegseinsatzes im weit entfernten Vietnam und dem vergleichbar sinnlosen Krieg im Irak diskutieren. Besonders Larry ist nach dem Tod seines Sohns schlecht auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten zu sprechen, und so will er dessen Bestattung auch nicht der Regierung überlassen, sondern entscheidet sich dazu, den Sarg selbst in seine Heimat nach New Hampshire zu bringen.

Die Dynamik des Films verändert sich dann. Die Seitenhiebe auf die Entwicklung in den USA seit den Anschlägen vom 11. September werden bissiger, zugleich wird der etwas angestaubte Soldatenstolz der Freunde wieder geweckt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird die Janusköpfigkeit der politischen Haltung des Films zu einem Problem. Während Last Flag Flying zu Beginn noch an Linklaters bissige schwarze Komödie Bernie (2011) erinnert, in der der besonnene und beliebte Bestatter Bernie (gespielt von Jack Black) zum Mörder wird, nehmen mit Fortdauer des Films wehende Flaggen und Nationalstolz Überhand. Es bleibt zwar eine gewisse Ambivalenz zu spüren, aber wenn Linklater in seiner Schlusssequenz die totale Attacke auf die Tränendrüsen startet, während Herzschmerz und Patriotismus sich gegenseitig hochschaukeln, dann muss man sich die Frage stellen, ob Linklater in seinen 50ern nicht mittlerweile zu einem alten, texanischen, konservativen weißen Mann geworden ist, wie es das Klischee vorsieht.
 

Last Flag Flying (2017)

Richard Linklater hat im Laufe seiner Karriere bereits einige Filme gemacht, die nur schwer mit seinem Image als Spezialist für persönliche Beziehungsdramen mit philosophischer Note vereinbar sind: Etwa seine erste Regiearbeit für ein großes Studio, „The Newton Boys“ (1998) über die gleichnamige Western-Gang, ein etwas verlorenes Projekt zwischen Spätwestern, Gangsterfilm und Komödie.

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