La Belle Saison - Eine Sommerliebe (2015)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Die neue Landlust

„Fühl‘ alle Lust, fühl‘ alle Pein, zu lieben und geliebt zu sein; So kannst Du hier auf Erden schon ewig selig werden.“ Was schon im späten 18. Jahrhundert bei Jakob Michael Reinhold Lenz – dem Schöpfer jener Zeilen – nicht immer so einfach war, Stichwort Liebesheirat als neumodisches Lebensmodell der aufkommenden Bürgerschicht, hat sich im Grunde noch weit ins 20. Jahrhundert hinein gehalten: Den scheinbar perfekten, einzigartigen Liebespartner zu finden, kann eine Mammutaufgabe für das ganze Leben sein. Den einen erwischt es sofort, die andere nie. Wieder andere leben bewusst asexuell, während sich die nächsten vielleicht sogar zeitlebens nie trauen, ihren wahren Gefühlen Ausdruck zu verleihen – und zum Beispiel offen homo- oder bisexuell zu leben. Das war selbst in den angeblich ach so freien Jahren um 1968 oft noch der Fall, sogar in Frankreich, dem traditionellen Kulturland des Liebens und Leidens: Hier werden doch Gefühle seit jeher ungefilterter ausgedrückt als anderswo, denkt man zumindest.

Doch Catherine Corsinis sommerliches Damen-Dramolette La Belle Saison erzählt dem Zuschauer eine andere Geschichte: die eines immer noch seltsam verklemmten Landes zu Beginn der 1970er Jahre, speziell in den bäuerlichen Regionen der Grande Nation. Hier werden die zukünftigen Bräute gerne noch innerhalb der Dorfgemeinschaft ausgesucht: Nur zwischen den Männern, versteht sich. Denn Manneskraft und Traktorenmessen zählen in diesem Geschlechtermodell noch weit mehr als Frauenthemen oder gar Emanzipationsversuche der Gattinnen. Zwischen diesen reaktionären Polen wächst die 23-jährige Delphine (Izïa Higelin) am Hof ihrer wortkargen, erzkonservativen Eltern auf: Paris ist fern – und vom Geiste sexueller Befreiung hat man in diesem französischen Flecken noch nicht viel gehört.

In diesem Gedankenkosmos verortet, erzählt Corsini (Die Affäre), die als Filmemacherin schon lange homosexuelle Thematiken offensiv angeht, das zartbittere Revolutionsmärchen vom erdigen Landei Delphine, das im Zuge der Pariser Frauenrechtsbewegung auf die bezirzend-attraktive Carole (Cécile de France) trifft: Nach Umzug (von Delphine in die Hauptstadt) und Entzug (vom Partner wie der universitären Frauengruppe bei Carole) bahnt sich rasch das zu erwartende Liebes-Leidens-Drama an. Corsinis künstlerischer Stab setzt dabei konsequent auf farbige Landschafts-Tableaus (Kamera: Jeanne Lapoirie ) und bemüht sich demonstrativ um historischen Zeitgeist (Ausstattung: Anna Falguères), was in der filmischen Umsetzung größtenteils ordentlich gelingt. Nur Grégoire Hetzels samtig-sämiger Score stört manche Liebesszene mehr, als dass er ihr nützen würde.

Trotzdem ist Catherine Corsinis neuester Versuch, homosexuelle Leinwandliebe massentauglicher zu machen, handwerklich auf einem hohen Niveau: Da sitzt die bäuerliche Latzhose, da rattert der Motor des rostigen Bulldogs. Die Farben der Felder strahlen wie im Hochglanzprospekt französischer Tourismusverbände – und das Spiel der Landbevölkerung ist kernig, weitgehend authentisch. Gerade in der Besetzung von Noémie Lvovsky als Dephines Mutter und konservatives Beta-Tier ohne Willen zum Ausbruch, manifestiert sich erneut das gute Händchen der Regisseurin für den richtigen Cast. Obendrein weht die wilde Mähne von Cécile de France (Der Junge mit dem Fahrrad), deren Lächeln kaum ein Zuschauer widerstehen kann.

Richtig interessant wird Corsinis bis zu diesem Zeitpunkt etwas dahin plätschernder Film allerdings erst, wenn Delphines Vater (überzeugend: Jean-Henri Compère) nach einem Schlaganfall auf das Landgut zurückkehrt: Jetzt sind nicht mehr nur die Filmfarben bunt, sondern auch die Dialoge. Die Mutter tobt, der Vater schweigt: Jede der Liebenden muss sich nun entscheiden. So spitzt sich der innerfamiliäre Konflikt bedeutend zu, weil Carole zuvor schon ihrem männlichen Partner in Paris endgültig den Laufpass gegeben hatte und vorerst zu Delphine ins landschaftliche Dorfidyll der Limousin-Region gezogen ist. Doch für wie lange? Und überhaupt in welcher offiziellen Konstellation: Als echte Geliebte oder lediglich als „beste Freundin“ für die Augen und Ohren der Dorfgemeinschaft?

Catherine Corsinis La Belle Saison schmeckt über weite Strecken wie ein luftiger – aber nicht ausschließlich leichter – Roséwein: Herbe Noten tauchen mitunter auf, auch manche Crosscuts (Montage: Frédéric Baillehaiche) sind als Kohlensäurebläschen eingewoben in dieses filmisch etwas zu süßlich geratene Bouquet. So kann es sich der Zuschauer zwar durchaus gemütlich machen auf Corsinis Kino-Tischdecke für das gemeinsame Gedanken-Picknick über Lebens- und Liebesträume zweier Frauengestalten im 68er Gesellschaftstaumel. Doch selbst eine überraschende Schlusssequenz und manch sommerliche Verve in der Inszenierung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass derzeit ausgerechnet zwei Männer namens Todd Haynes (Carol) und Abdellatif Kechiche (La vie d’Adèle) die schönsten Filme über Frauenlieben inszenieren.
 

La Belle Saison - Eine Sommerliebe (2015)

„Fühl‘ alle Lust, fühl‘ alle Pein, zu lieben und geliebt zu sein; So kannst Du hier auf Erden schon ewig selig werden.“ Was schon im späten 18. Jahrhundert bei Jakob Michael Reinhold Lenz – dem Schöpfer jener Zeilen – nicht immer so einfach war, Stichwort Liebesheirat als neumodisches Lebensmodell der aufkommenden Bürgerschicht, hat sich im Grunde noch weit ins 20. Jahrhundert hinein gehalten: Den scheinbar perfekten, einzigartigen Liebespartner zu finden, kann eine Mammutaufgabe für das ganze Leben sein.

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Meinungen

Stefanie Günther · 14.06.2016

Dass Todd Haynes mit Carol einen guten Film über Frauenliebe gedreht hat, lasse ich mir ja noch gefallen. Aber La vie d`Adèle war nun wirklich ein fürchterliches Werk...Wie der Rezensent auf die Idee kommt, dies sei ein guter Film, ist mir ein Rätsel. Tatsächlich haben Filme über Liebesbeziehungen unter Frauen oft ein Qualitätsproblem. Die besten und authentischsten Filme zu diesem Thema finden meist wenig Beachtung durch die Medien und das Mainstreampublikum.

Rebekka · 27.08.2015

Ein großartiger Film, der gerade wegen des offenen Endes glaubhaft und überzeugend ist!

Ich hoffe sehr, dass es La Belle Saison auch auf die deutsche Kinoleinwand schafft!!!