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„Bigger than life“ wollte er immer schon sein: Julian Schnabel, New Yorks extravagantester Malerfürst. Was steckt hinter dem Erfolg des einstmaligen Enfant terribles der amerikanischen Kunstszene? Und welcher Mensch verbirgt sich hinter dem weltweit ausgestellten Großkünstler? Eine Spurensuche.

Julian Schnabel - A Private Portrait (2017)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Der große Zampano

„Lebe dein Leben, so, wie’s dir gefällt! Dafür bist du auf dieser Welt. Lebe, dein Leben, es zählt jeder Tag! Tu, was dein Herz immer mag!“. Freddy Brecks Kultschlager Der große Zampano aus den 1970er Jahren fehlt zwar in Pappi Corsicatos Künstlerportrait über den New Yorker Malerfürsten und Regisseur Julian Schnabel, könnte aber getrost in Dauerschleife im Hintergrund laufen. Denn in der neuesten Arbeit des kunstsinnigen Italieners, der sich in seinem Werk als Filmemacher in der Vergangenheit schon mit Gilbert & George, Anish Kapoor oder Richard Serra beschäftigt hat, ist im Regiekonzept von Beginn an vieles „bigger than life“ angedacht – zumindest auf dem Papier: Egal ob inhaltlich, visuell oder im O-Ton, Corsicato hat sich in der Tat vieles überlegt, um Julian Schnabel nur irgendwie in Aktion zu zeigen, ihm dabei womöglich sogar noch das ein oder andere Geheimnis als Mensch hinter der überlebensgroßen Kunstmarkt-Marke „Julian Schnabel“ zu entlocken.

Der private Künstler Schnabel im Kreise seiner ausufernd großen Familienbande? Kommt natürlich vor, gleich mehrfach. Der steinreiche Künstler, der im Sessel seines extravaganten, selbst entworfenen Fantasie-Palastes Palazzo Chupi im noblen West Village thront? Natürlich ebenso, dabei übrigens reichlich selbstherrlich. Der streitsame Künstler, der als Kontrollfreak gilt, bei der Einrichtung seiner nächsten Kunstausstellung? Logo, das ist ein Muss für jedes Künstlerportrait – und ist dementsprechend zu erleben, nur eben ziemlich harmlos.

Die Reihe ließe sich nahezu beliebig weiterführen: Julian Schnabel beim Radfahren in der Natur, beim Malen unter freiem Himmel, bei einem seiner publikumswirksamen Auftritte oder schlichtweg als frech-wilder Jungspund mit Anfang zwanzig als Phantom aus dem Bewegtbild-Privatarchiv des Künstlers. Kommt alles vor, wird allerdings kamera- wie schnitttechnisch über weite Strecken ziemlich konventionell in Szene gesetzt – und irritiert deswegen mitunter gewaltig: Denn Julian Schnabel war als ebenso farbenfroher wie egozentrischer Neo-Avantgardist (u.a. mit seinen weltberühmten „Tellerbildern“) im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts alles, nur eben nicht langweilig oder angepasst.

Was als mögliches Auftragswerk für eine Kunstsammlung – oder sogar für den Portraitierten selbst als eine Art family movie – lange Zeit ordentlich funktionieren mag, ist jedoch als Dokumentarfilm für die große Kinoleinwand ziemlich problematisch. Warum? Es fehlt – trotz eines charismatischen Künstlers und allerhand Prominenz (z.B. Jeff Koons, Willem Dafoe, Bono, Al Pacino, Jean-Claude Carrière oder Emmanuelle Seigner) vor der Linse – schlichtweg an der künstlerisch-kritischen Distanz des Machers zu seinem Objekt. Und daher schleicht sich beim Sehen doch recht rasch das Gefühl ein, eigentlich einem Nonstop-Selbstbeweihräucherungsclip in Hochglanzästhetik beizuwohnen, anstatt als interessierter Kunstfreund wirklich mehr über das Werk wie die Wirkung jenes an sich unglaublich einflussreichen Mega-Künstlers der vergangenen 30 Jahre zu erfahren.

So loben beispielweise Schnabels zahlreiche Kinder, die er aus mehreren Beziehungen hat, naturgemäß ihren Vater über den Klee („Alles ist überlebensgroß, genau wie seine Energie.“), während sich seine very sophisticated Galeristin Mary Boone allzu geschäftsmännisch gegenüber „ihrem Künstler“ äußert, der einst als Rockträger mit blonder Afro-Haartolle und reißerisch-flotten Sprüchen den Kunstmarkt aufwiegelte – und heute wie ein barock-beleibter Orson-Welles-Wiedergänger saturiert im Sessel sitzt: Mit zig Millionen auf dem Konto und einer zweiten Karriere als durchaus erfolgreicher wie ambitionierter Autorenfilmer (Basquiat/Schmetterling und Taucherglocke/Before Night Falls/Miral) im Kreuz, was in Corsicatos Film thematisch zumindest aufgemacht wird, wenngleich auch nur verhältnismäßig oberflächlich und kurz.

In diesem Sinne gleicht Julian Schnabel – A Private Portrait im Prinzip auch Schnabels selbst gebautem „Palazzo Prozzo“, wie ihn viele New Yorker nennen: Er enthält von allem zu viel – und erzählt doch gleichzeitig zu wenig, er ist grell-laut in der Außenfassade, obwohl er im selben Zuge innenarchitektonisch eigentlich ziemlich raffiniert-durchdacht ist. Und so ist auch Corsicatos filmische Nahaufnahme ornamental gespickt mit sehr vielen Attributen der Schönen und (Erfolg-)Reichen – und wirkt doch zugleich nur wie das blutleere Luftschloss eines oftmals prahlerischen Self-Made-Mannes.

Oder bildlich gesprochen: Darin enthalten sind sowohl wunderbare Filmausschnitte (z.B. mit einem tanzenden Gary Oldman als Schnabel in Basquiat), aber eben auch genauso viel Image-Film-Blabla, mit wirklich wenig kernigen O-Tönen, die – einmal gehört – fast schon wieder vergessen sind. Da helfen dann in der Summe nicht einmal mehr kurze Aperçus von Laurie Anderson, Lou Reed, Sante D’Orazio oder Andy Warhol. Und das will ja was heißen, oder? Daher zum Schluss noch mal ein paar Zeilen von Freddy Breck, die die Unausgewogenheit jenes insgesamt viel zu braven Malerfürsten-Films treffend in Worte fassen: „Denn wohin der Wind uns weht und wohin die Reise geht, weiß allein der große Zampano, denn der bestimmt das sowieso.“
 

Julian Schnabel - A Private Portrait (2017)

Regisseur Pappi Corsicato gibt Einblicke in das private und berufliche Leben des New Yorker Künstlers Julian Schnabel, der als Maler und Filmemacher („Schmetterling und Taucherglocke“) arbeitet und als Enfant terrible gilt.

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