Joaquim (2017)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Ein zutiefst menschlicher Film

Marcelo Gomes‘ Joaquim soll eigentlich die Geschichte des ersten brasilianischen Nationalhelden Tiradentes erzählen. Doch Gott sei Dank hat Gomes sich nicht an die üblichen Standards für Biopics gehalten und macht aus diesem Porträt eines Mannes das Porträt einer ganzen Periode dieser noch portugiesischen Kolonie, die die Wurzeln der heutigen brasilianischen Gesellschaft und deren Verwerfungen perfekt historisch einordnet.

Joaquim (Júlio Machado) ist Fähnrich in der Armee ihrer Königin Maria der I. von Portugal. Er selbst ist aus ärmlichen Verhältnissen, in der Kolonie geboren und aufgewachsen. Keine guten Voraussetzungen für seine Beförderung, denn nur Männer reiner portugiesischer Herkunft haben hier eine Chance. Dieses Prinzip bestimmt nicht nur das Militär, sondern die ganze Kolonie, in der die portugiesische Minderheit korrupt und autokratisch über die Mehrheit von Menschen herrscht. Und diese Mehrheit könnte diverser nicht sein: Afrikanische Sklaven, Indios, Mestizen und Mulatten sind hier vereint in ihrer Unterdrückung, die auf einem diffizilen rassistischen System fußt. So wird Joaquim einerseits von weiteren Karrierestufen ausgeschlossen, hält aber selbst einen Sklaven. Die bettelnden Indios empfindet er als nervig, aber harmlos. Verliebt ist er wiederum in Blackie (Isábel Zuaa), die eigentlich Zuaa heißt. Sie ist eine Sklavin, die aufgrund von Schulden ihres Eigentümers, der selbst schwarz ist, Joaquims Kommandeur sexuell zur Verfügung stehen muss. Gerne würde Joaquim sie freikaufen, doch dafür bräuchte er eine Beförderung, die nie kommen wird.

Erste Erschütterungen dieses Lebens, das alle Beteiligten zu akzeptieren scheinen, kommen alsbald. Joaquim soll eine Mission unternehmen. Zusammen mit einer kleinen Gruppe soll er in der Wildnis nach Gold suchen. Denn Gold gibt es viel in Brasilien, das Land wird von der Krone seit Langem ausgeschlachtet. Doch in letzter Zeit gehen die Einnahmen zurück und der Druck auf die Kolonie und seine Menschen wird größer. So muss der Arme dem Reichen sein Gold suchen gehen, ein gefährliches und anstrengendes Unternehmen, bei dem sich viel Missmut breit macht, der mithilfe eines Philosophen-Freundes bald politische und widerstandsaktivistische Bahnen schlagen soll. Der wahre Held und unerschütterliche, mutige Revolutionär ist nicht Joaquim, es ist Zuaa. Sie, die Zeit ihrer Versklavung niemals ihre Würde und ihren Stolz hergab, tötet den Kommandeur und rennt davon. Vergeblich hatte sie gehofft, Joaquim würde ihr helfen. Doch dieser hält sich an die Regeln eines verdorbenen Spiels. Zu ihren Ungunsten. Also macht sie selbst Nägel mit Köpfen. Nachdem er die Nachricht von Zuaas Tat erhält, schwört Joaquim, sobald er reich ist, sie zu suchen. Währenddessen schließt sich Zuaa einem Quilombo an. Dies sind Zufluchtsorte und Gemeinden entlaufener SklavInnen, die sich dem gesamten vermaledeiten System dieser Kolonie entgegenstellen und nicht länger erlauben, sich benutzen zu lassen.

Genau hier merkt man auch, dass dieser Film seine Sicht nicht auf den einen Märtyrer beschränkt, sondern auf die gesamte Gesellschaft und auf die, die die Revolution, die eines Tages zur Unabhängigkeit von Brasilien führen wird, mitgetragen haben, aber von der Geschichtsschreibung vergessen wurden, erweitert. Und nichts anderes kann man tun, wenn man nicht wieder und wieder die geschichtliche und kontemporäre Teilung des Landes heilen möchte. Und dies ist diesem Film ein großes Anliegen. Es geht um die Menschen, alle Menschen, die das Land ausmachen. Dazu bedient sich Gomes noch weiterer kluger Strategien.

Joaquim ist ein zutiefst menschlicher Film. So menschlich, dass er sich das Leben im 18. Jahrhundert ganz genau anschaut und dieses vor allem auf den Alltag herunterbricht. Dies macht den Film zu einem viszeralen Erlebnis: die Flöhe zerfressen Joaquim, die Haare werden ihm deshalb mit einer Machete abgeraspelt. Er selbst hat rudimentäre Kenntnisse in der Zahnheilkunde und zieht mehrmals ein paar armen Seelen Zähne und reibt die Wunden mit Pasten ein. Oft ist er selbst dreckig und stinkt. Die eigenen Zähne faulen vor sich hin, der Körper wird mit jedem Tag mehr beansprucht. Das Leben ist hart und echt in diesem Film. Dabei hilft auch die Kameraarbeit, die schnellfüßig und flexibel nicht um die Charaktere, sondern mit ihnen und ihren Körpern arbeitet. Gomes verzichtet für den Realismus auf ausgedehnte Expositionen und andere übliche Kadrierungen und schafft damit Bilder, die stets spannend, authentisch und eben nicht historisch wirken. Wer Joaquim schaut, der ist vor Ort, dort im 18 Jahrhundert in dieser Kolonie, die so schön und so schrecklich zugleich ist.

Konterkariert wird dieses ehrlich Menschliche mit der Natur, die dort in Minas Gerais, am Rande der Wildnis, zu finden ist. Immer wieder schlägt man sich durch Gebüsche, stolpert über karge Felslandschaften, labt sich an wunderschönen kalten Bächen oder versucht, Piranha-verseuchte Flüsse zu überqueren. Die Landschaft singt das gleiche Lied wie die Menschen. Wunderschön und voller Wunder wird sie immer wieder ignoriert, mit den Füßen getreten und ausgeschlachtet.

Und so schafft es Marcelo Gomes‘ Joaquim am Ende, kein Heldenlied zu singen, keinen Märtyrer zu feiern, sondern einen sensiblen und authentischen Einblick zu geben in die Umstände, aus denen einst Brasilien entstand und mit denen das Land noch heute zu kämpfen hat.

Joaquim (2017)

Marcelo Gomes‘ „Joaquim“ soll eigentlich die Geschichte des ersten brasilianischen Nationalhelden Tiradentes erzählen. Doch Gott sei Dank hat Gomes sich nicht an die üblichen Standards für Biopics gehalten und macht aus diesem Porträt eines Mannes das Porträt einer ganzen Periode dieser noch portugiesischen Kolonie, die die Wurzeln der heutigen brasilianischen Gesellschaft und deren Verwerfungen perfekt historisch einordnet.

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