Jasmin

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Eine schreckliche Wahrheit

Zwei Personen, ein Raum und sonst nichts – es gibt wenig Filme, die sich auf ein solches Wagnis einlassen. Der Totmacher von Romuald Karmakar aus dem Jahre 1995 ist ein überzeugendes Beispiel. Nicht minder faszinierend entwickelt sich das psychologische Kammerspiel, auf das sich der erfahrene Kameramann Jan Fehse in seiner zweiten Regiearbeit eingelassen hat — mit zwei großartigen Schauspielerinnen in einem berührenden Duell.
Jasmin beruht auf einem wahren Fall. Drehbuchautor Christian Lyra stieß auf die Geschichte in der Bibliothek eines psychiatrischen Krankenhauses. Dort las er von einer alleinerziehenden Mutter, die sich und ihre drei Kinder umbringen wollte, aber den Selbstmordversuch überlebte. Der Film wandelt einige Fakten ab und entwirft eine fiktive Handlung. Aber die genaue Recherche ist wohl einer der Gründe dafür, dass die fatale Entwicklung im Leben von Jasmin (Anne Schäfer) so glaubwürdig und authentisch wirkt.

Bis auf wenige Minuten spielt der Film im Besprechungszimmer eines psychiatrischen Krankenhauses. Dr. Feldt (Wiebke Puls) soll ein Gutachten über die Schuldfähigkeit der jungen Mutter schreiben. Vier Tage lang unterhält sie sich mit der Täterin. Das wird von der ersten Sekunde an eine aufwühlende, belastende und schmerzhafte Auseinandersetzung. Aber auch ein Ringen, das für beide Seiten seine beglückenden Momente bereithält. Natürlich ist die Befragung keine Therapie im eigentlichen Sinne. Aber das Drehbuch verdichtet die Seelenarbeit zu einer beeindruckenden Reise nach innen, die Schicht für Schicht die heilende Kraft der Erinnerung freilegt.

Seine Spannung bezieht der Film also nicht aus der Tat als solcher. Das berührende Abenteuer besteht vielmehr in den Hürden und Widerständen eines gemeinsamen Kraftakts, in dem es darum geht, die Hintergründe der Kindstötung aufzudecken. Wird es gelingen, bis zu den entscheidenden, aber verdrängten Motiven vorzustoßen? Das ist keineswegs gewiss. Denn solche Prozesse können nur gelingen, wenn sich die Beteiligten auch in den Momenten zusammenraufen, in denen alles auf der Kippe steht.

Jan Fehse (In jeder Sekunde) verlässt sich ganz auf seine beiden Schauspielerinnen – und tut damit einen wahren Glücksgriff. Anne Schäfer und Wiebke Puls, die beide eine langjährige Bühnenerfahrung mitbringen (unter anderem an den Münchner Kammerspielen) schlüpfen derart glaubwürdig in ihre Rollen, dass man meint, realen Therapiegesprächen beizuwohnen. Alles hängt von den Stimmen und Gesichtern ab, jede kleine Regung, jede leise Träne und jedes Aufleuchten der Augen. Die Kamera stellt sich ganz in den Dienst realistisch dargestellter Gefühle, sie versagt sich jegliche Mätzchen, nur Schuss/Gegenschuss, Nahaufnahme oder Halbtotale, keinerlei Kreisen, keinerlei eigenständige Blickwinkel. Lediglich die Tatsache, dass die Szenen mit sieben Kameras gleichzeitig aufgenommen wurden, ist eine Besonderheit. Aber das ist im fertigen Film nicht zu sehen, es diente nur dazu, möglichst lange an einem Stück drehen zu können – manchmal bis zu 50 Minuten -, um dadurch ganz tief zu den emotionalen Wahrheiten vorzudringen.

Natürlich hat Anne Schäfer als Jasmin auf den ersten Blick den schwierigeren Part. Zu ungeheuerlich scheint die Tat, als dass man den Zuschauer in eine einfühlsame Haltung hineinziehen könnte, was ihr aber von Anfang an bravourös gelingt. Genauso begeisternd ist die Leistung von Wiebke Puls als Dr. Feldt: dieses genaue Balancieren zwischen Distanz und Anteilnahme, zwischen Fordern und Stützen. Da vergisst man ganz, dass Jasmin mit so wenig Schauwerten auskommt: zwei Menschen an einem Tisch.

Jasmin

Zwei Personen, ein Raum und sonst nichts – es gibt wenig Filme, die sich auf ein solches Wagnis einlassen. Der „Totmacher“ von Romuald Karmakar aus dem Jahre 1995 ist ein überzeugendes Beispiel. Nicht minder faszinierend entwickelt sich das psychologische Kammerspiel, auf das sich der erfahrene Kameramann Jan Fehse in seiner zweiten Regiearbeit eingelassen hat — mit zwei großartigen Schauspielerinnen in einem berührenden Duell.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Regine · 22.06.2013

Dieser Film hat mich tief berührt, und hat noch lange bei mir nachgewirkt. Es war so echt, dass ich mit Jasmin mitfühlte und sie mir unendlich leid tat. Auch die Mimik und Sprache der Psychiaterin war so authentisch. Ein großartiger Film, der einen Preis verdient hat.

anneli und rolf gerike · 16.10.2011

Einzigartig, zwei Schauspiielerinnen,die uns 120 Min. gefesselt haben.wir gingen tief berührt und schweigend aus dem Kino