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In einem fiktiven Japan zwanzig Jahre in der Zukunft erfindet Wes Anderson eine zuckerbäckersüße Geschichte um Atari, einen Jungen, der seinen Hund sucht und dabei über eine politische Hunde-Verschwörung stolpert. Doch auch Anderson stolpert hier über große Probleme.

Isle of Dogs - Ataris Reise (2018)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Schrecklich süss

Japan. Zwanzig Jahre in der Zukunft. Der Kobayashi-Clan ist nicht nur der führende Clan der Uni-Präfektur, sie stellt auch den Bürgermeister von Megasaki, ein furchteinflößender Mann mit traditionell großer Liebe zu Katzen. Und einer entsprechenden Abneigung Hunden gegenüber, die sich ob einer sich ausweitenden Hundeseuche so sehr verstärkt, dass er alle Hunde auf eine Insel vor der Küste — Trash Island — verbannen lässt, auf der sonst nur Müll gelagert wird.

Sein Pflegesohn Atari (Koyu Rankin) verliert damit auch seinen geliebten Hund, Spots (Liev Schreiber), der als erster auf Trash Island deponiert wird. Sechs Monate später kapert er deshalb ein kleines Flugzeug und fliegt auf die Insel, um sein geliebtes Tier zu finden. Dort trifft er auf ein Rudel Alpha-Hunde: Rex (Edward Norton), Boss (Bill Murray), King (Bob Balaban), Duke (Jeff Goldblum) und den Streuner Chief (Bryan Cranston). Sie helfen ihm bei der Suche nach Spots. Währenddessen versucht die amerikanische Austauschschülerin Tracy Walker (Greta Gerwig) eine Verschwörung Kobayashis aufzudecken, der die Hunde-Verbannung als Deckmantel dient.

Dies klingt alles sehr nach einer klassischen, süßen und märchenhaften Wes-Anderson-Geschichte und genau das ist es auch. Der gesamte Film ist — wie schon Der fantastische Mr. Fox — mit Stop-Motion-Puppenanimation quasi handgemacht und zeigt auf visueller Ebene alle Anderson-Klassiker von perfekt zentrierten Kadrierungen und einer ausgeprägten Farbpalette bis natürlich einer extremen Liebe zu lustigen und liebevollen Details. Und auch Ton und vor allem Humor sind exakt, was man von Anderson erwartet. Es ist schön, sich Isle of Dogs anzuschauen. Es ist unterhaltsam, es ist ästhetisch. Bis es nach zwanzig Minuten dann immer schrecklicher und schrecklicher wird. Denn unterhalb der süß-pastelligen Oberfläche spielt sich ein Film ab, der gleich mehrere relevante Themen auf hochgradig problematische Art verhandelt oder einfach nur benutzt, ohne sich über die Implikationen auch nur einen weiteren Gedanken zu verschwenden.

Es ist schon erstaunlich, dass die Berlinale, die hat verlauten lassen, sich das Thema Frauen und #metoo auf die Fahnen zu schreiben, mit Isle of Dogs ein Film als Eröffnungsfilm zeigt, in dem erneut eine ganze Welt gezimmert wird, in der Frauen keine Rolle spielen. Egal ob Bürgermeister, Pflegesohn oder Wissenschaftler, egal ob Hunde-Streuner, verwöhnter Hund oder lustiger Hund, die Protagonisten sind allesamt männlich, die Weibchen/Frauen bis auf eine Ausnahme kaum mit Sprechrollen ausgestattet, reduziert auf ihr Äußeres oder darauf getreu zu dienen und die Helden aufzumuntern oder sich retten zu lassen. Es sind Hunde, verdammt! Wieso muss man sich sogar bei Vierbeinern diese unendlich öden Geschlechter-Strukturen anschauen? Hätte man nicht wenigstens hier mal etwas anders machen können? Aber um das zu verhindern, hätte man vielleicht beim Autoren-Team wenigstens eine Frau mit dazu holen sollen …

Nur Tracy Walker, aufwieglerische Zeitungsredakteurin, darf in diesem Film auch agieren. Doch da sind wir schon beim nächsten großen Problem. Der Film spielt in Japan, er ist eine Hommage an Andersons große Liebe für japanische Filme, besonders die von Akira Kurosawa, den er auch hinter den Kulissen nachahmt, indem er diesen Film nicht allein, sondern in einem kleinen Autoren-Team verfasst hat. Dass man sich hier, bei aller Hommage und Liebe, die kulturelle Aneignung, die stattfindet, noch einmal genauer anschauen muss, ist eine Sache, die man auch schon bei Darjeeling Limited beobachten konnte. Die andere ist, dass bei aller japanischer Kulisse und der Vereinnahmung japanischer Ideen, Traditionen, Kunstgegenstände und Geschichte dann ausgerechnet eine amerikanische Austauschstudentin die Revolution anleitet, während ihre japanischen MitschülerInnen nur mitlaufen und tun, was sie sagt. Das ist eine ganz unangenehme Gebärde, die einen doch stark zum Stutzen bringt und das subkutane Gefühl, dass sich hier Amerikaner respektlos bei einer anderen Kultur bedienen, nur noch massiv verstärkt.

Doch leider, leider ist das immer noch nicht alles. Denn Andersons Film hat auch Momente politischer Natur. Oder sagen wir, Anleihen, Bilder, Ideen, die geschichtlich eindeutig zu verorten sind, mit denen er hier aber so oberflächlich und respektlos umgeht, dass einem der Atem stockt. Vor allem in Kombination mit seiner visuellen Niedlichkeit. Denn als sich die politische Lage verschärft, entscheidet sich der Bürgermeister für eine „Endlösung“ des „Hundeproblems“, indem er alle Tiere in ein Lager sperren lässt und dort Lakaien positioniert, die die Tiere in ihrer Gesamtheit auf seinen Befehl mit einem tödliche Giftgas (Wasabi-Gas) umbringen lassen sollen.

Man ahnt es schon: Der Film macht diese Anleihen auf der Bildebene überdeutlich, hier wird ernsthaft der Holocaust als Drehbuch-Gimmick herangezogen und mit politischen Ideen und historisch verbürgten Traumata und Massenmorden kokettiert, ohne ihnen wirklich Raum und Tiefe einzuräumen oder mit ihnen irgendetwas anderes anzufangen, als sie zu einem der fünf Akte der Erzählung zu machen. Und dies, um es noch schlimmer zu machen, ebenfalls mit der klassischen schrullig-süßen Anderson-Ästhetik, die das Ganze so schrecklich zynisch werden lässt, dass einem die Spucke wegbleibt. Dies kann und darf man nicht abtun, tut dieser Film hier doch nichts anderes, als das, was diverse politische Lager in Europe und den USA inzwischen versuchen salonfähig zu machen: hier wird eines der größten Verbrechen der Menschheit verwässert, unscharf gemacht und zu einem nicht-so-schlimmen Zwischenfall herunter geredet und noch dazu ästhetisiert.

Man kommt nicht umhin — außer man ignoriert stoisch all diese Implikationen — sich zu fragen, was das hier alles soll? Wieso ist Isle of Dogs ein pseudo-japanischer Film, wieso erzählt er eine Geschichte, die so tut, als wäre sie ein politischer Kommentar, um dann doch nur einfach nett vor sich hinzuplätschern und die referenzierten Probleme einfach im Stich zu lassen? Wieso in Gottes Namen eine solch offensichtliche Holocaust-Sequenz in einem solchen Film unterbringen?

Was auch immer die Gründe dafür sein mögen, eines sollte man nicht tun: all dies ignorieren oder akzeptieren, um einen netten Kinoabend zu haben.

Isle of Dogs - Ataris Reise (2018)

Japan in der nahen Zukunft: Durch ein Dekret der Regierung wurden alle Hunde auf eine Insel verbannt, um der schieren Masse der Tiere überhaupt noch Herr zu werden. Doch der zwölfjährige Pilot Atari lässt sich nicht abschrecken und fliegt zu der Insel, um dort nach seinem Lieblingshund Spots zu suchen — und diese Suche wird zu einem großen Abenteuer, bei dem es um viel mehr geht, als nur um die Liebe eines Jungen zu seinem Hund …

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