Invasion (2012)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Ungebetene Gäste

Josef wohnt allein in einem riesigen Anwesen auf dem Land, in gleichförmiger Routine. Konstituierendes Element seiner Existenz: Der tägliche Besuch an den Gräbern seines Sohnes, Opfer eines Schulbusunglücks, und seiner Frau, die ihm in den Tod gefolgt ist. Sein Blick: ins Gleichmütige reichende Wehmut, wie nur Burghart Klaußner sie auszudrücken vermag.
Auftritt Nina. Sie stellt sich als Cousine der verstorbenen Gattin vor; Josef kann sich nicht an sie erinnern, auch nicht an ihren schon erwachsenen Sohn Simon. Doch er freut sich, freut sich wirklich, und nimmt Nina bei sich auf. Auch Simon und dessen schöne, osteuropäisch-geheimnisvolle Frau Milena. Auch Marco, deren Sohn. Auch Konstantin, Ninas Lebensgefährten. Der stellt sich als Anwalt für Menschenrechte vor, richtet sich in Josefs Büro ein, empfängt Klienten – Immigranten, vielleicht auch Kriminelle; schließlich finden sich auch noch bullige, glatzköpfige Leibwächter ein. Eine bunte Truppe im Landgut, die Josefs eingefahrenem Leben neuen Schwung verleiht. Und die er nicht mehr loswird.

Komödiantische Elemente enthält Dito Tsintsadzes Invasion; doch vor allem – und bei allem Trubel in Josefs Haus – zeigt er die Ablösung eines inneren Alpdrucks durch ganz realen, äußeren Druck: Die Trauer wird durch die Einengung der eigenen Verhältnisse abgedrängt. Man ist höflich, man lädt Fremde ein, man lässt sie sich einrichten, bis sie das Heft in der Hand haben; und bis der Film vom Psychoporträt eines trauernden Witwers zum veritablen Thriller wird. „Es ist doch OK für dich? Es macht dir doch nichts aus?“ – „Fühlt euch wie zuhause! Lasst euch nicht aufhalten!“ Die Eindringlinge nehmen die Floskeln ernst, und man bekommt sie nicht mehr los.

Ist das so schlimm für Josef? Wenn am Abendbrottisch spontan ein Kanon angestimmt wird, wenn Leben ins Haus kommt, wenn Feste gefeiert werden, mit oder ohne Anlass? Josef lässt seine Gäste gewähren und ja: er freut sich an der Gesellschaft; und erst allmählich kommt er aus sich heraus, beginnt, aufzubegehren. Etwa wenn Simon seinen 12jährigen Sohn Marco schikaniert, anbrüllt, beschimpft – für Simon ist das Leben ein Kampf, den zu verlieren ihm droht, er ist Kendokämpfer, faselt vom Zusammenhang von Physis und Spiritualität und ist doch vor allem unbeherrscht und unsensibel. Konstantin okkupiert Josefs Lebensbereich, tätigt undurchsichtige Geschäfte, hat eine Pistole; und bietet Josef unverhohlen den Körper von Nina, seiner Geliebten, an: Du brauchst einen emotionalen Ruck.

„Zeit, dass ihr geht!“, verlangt Josef. „Bist du sicher, dass du das willst?“, entgegnet Konstantin; und: „Endlich bist du soweit. Du musst dich verteidigen, sonst gehst du mitsamt deiner Kultur unter!“ Natürlich ändert sich nichts, die Gäste bleiben und das nächste Fest wird gefeiert. Zu diesem Zeitpunkt ist es bereits unmöglich, umzukehren, ungeschehen zu machen. Subtil und ganz allmählich lässt Tsintsadze eine erotische Spannung einfließen, Nina versucht, Josef zu verführen, und er, der allmählich wieder zu menschlichen Regungen – Zorn oder Freude – findet, findet auch die sinnliche Attraktivität wieder – bei Milena, der Frau des cholerischen Kendokämpfers Simon. Klaußner, ohnehin einer der größten der Schauspielzunft, lässt ganz zart und fein die Wandlung seiner Figur in sein Spiel einfließen, zeigt Trauer, Lebensfreude, Zorn – oftmals gleichzeitig in einer Szene, in einem Blick.

Ab der Hälfte der Spielzeit erhöht Tsintsadze die Schlagzahl, bis zu einem überbordenden Finale. Und bis zu einem Ende, in dem sich auf perverse Art eine neue Kleinfamilie konstituiert. Wenn nicht alles ohnehin nur ein Traum war, ein faszinierender Alptraum.

Invasion (2012)

Josef wohnt allein in einem riesigen Anwesen auf dem Land, in gleichförmiger Routine. Konstituierendes Element seiner Existenz: Der tägliche Besuch an den Gräbern seines Sohnes, Opfer eines Schulbusunglücks, und seiner Frau, die ihm in den Tod gefolgt ist. Sein Blick: ins Gleichmütige reichende Wehmut, wie nur Burghart Klaußner sie auszudrücken vermag.
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