Ihr werdet euch noch wundern

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Schelmenstück oberster Güteklasse

Antoine d’Anthac ist tot. Und so verbreitet sich die Kunde vom Ableben des gefeierten Dramatikers in Windeseile, weil der Butler des Verstorbenen die Instruktionen seines Dienstherren minutiös befolgt und all die berühmten französischen Schauspieler telefonisch informiert, die früher einmal mit d’Anthac zusammengearbeitet haben — als da wären: Sabine Azéma, Anne Consigny, Anny Duperey, Mathieu Amalric, Lambert Wilson, Michel Piccoli, Hippolyte Girardot, Pierre Arditi, Jean-Noël Brouté, Gérard Lartigau, Michel Robin, Jean-Chrétien Sibertin-Blanc und Michel Vuillermoz. Oder anders gesagt: Die Crème de la crème der französischen Schauspielerzunft. Ergänzt wird dieser Cast von zwei erstklassigen Schauspielern der Comédie Francaise, Denis Podaylydès (der den Antoine d’Anthac spielt) und Andrzej Seweryn (als Butler Marcellin).
Als diese feine Truppe im Haus d’Anthacs ankommt, um dort der Verlesung des letzten Willens des Dramatikers beizuwohnen, erwartet sie eine Überraschung und auch eine Aufgabe: Sie sollen sich eine Neuinszenierung von d’Anthacs Stück Orpheus und Eurydike von einer jungen Theatergruppe auf DVD anschauen und dann darüber entscheiden, ob der Compagnie de Colombe die Erlaubnis gegeben werden soll, das Stück zur öffentlichen Aufführung zu bringen. Weil alle anwesenden Darsteller das Stück selbst gespielt haben, springt der Funke in d’Anthacs bühnenreifem Haus schnell über, vermischen sich die Realität und die medial vermittelte Fiktion zu einem Wechselspiel, einem Reigen über die Liebe, die Kunst und den Tod.

Sollte Ihr werdet euch noch wundern (Orginaltitel: Vous n’avez encore rien vu) Alain Resnais‘ letzter Film sein — was man nicht hofft, aber der Mann wird im Sommer 90 Jahre alt -, dann wäre das wahrhaft ein passender Schlusspunkt, ein Vermächtnis, das die Karriere dieses außergewöhnlichen Regisseurs reflektiert und auf spielerische Weise kommentiert. Und steckt in der Rahmengeschichte um den Dramatiker Antoine d’Anthac nicht auch viel von Resnais selbst — zumal fast alle der auftretenden Schauspieler schon mit Resnais selbst zusammengearbeitet haben? Ähnlich verhält es sich auch mit der Vorlage zu dem Film, die auf zwei Theaterstücken von Jean Anouilh (Eurydice und Cher Antoine ou l’amour raté) beruht: Pierre Arditi, Sabine Azéma, Lambert Wilson und Anny Duperey haben schon in den Stücken von Anouilh mitgewirkt.

Mit leichter Hand verwebt Alain Resnais verschiedene Realitäts- und Fiktionsebenen zu einem hinreißenden Reigen, bei dem reale Figur und Rolle, Welt und Bühne, Spiel und Ernst, Leben, Liebe und Tod sich immer wieder zu neuen Formationen gruppieren, einander umtanzen, sich auflösen und neu arrangieren, um die nächste Ebene zu eröffnen. Auf jeden Trick und doppelten Boden folgt die nächste Volte, die nächste Idee, der nächste Schlenker, ohne dass man dieser Schelmerei nicht jedes Mal wieder aufs Neue gerne und im höchsten Maße beglückt folgen würde.

„Die ganze Welt ist eine Bühne und Frauen und Männer bloße Spieler“, heißt es in William Shakespeares Komödie Was ihr wollt. Alain Resnais hat aus diesem Satz, aus Jean Anouilhs Stücken, mit viel Spieltrieb und „with a little help from his friends“ einen Film gemacht — und was für einen…

Ihr werdet euch noch wundern

Antoine d’Anthac ist tot. Und so verbreitet sich die Kunde vom Ableben des gefeierten Dramatikers in Windeseile, weil der Butler des Verstorbenen die Instruktionen seines Dienstherren minutiös befolgt und all die berühmten französischen Schauspieler telefonisch informiert, die früher einmal mit d’Anthac zusammengearbeitet haben — als da wären: Sabine Azéma, Anne Consigny, Anny Duperey, Mathieu Amalric, Lambert Wilson, Michel Piccoli, Hippolyte Girardot, Pierre Arditi, Jean-Noël Brouté, Gérard Lartigau, Michel Robin, Jean-Chrétien Sibertin-Blanc und Michel Vuillermoz.
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Meinungen

elieb · 30.05.2013

Als sneak-preview OmU ohne Vorinformationen gesehen, ohne besondere Beziehung zur "crème de la crème" der französischen Schauspielerzunft, mit offensichtlichen Lücken in klassischer Bildung (griechische Sagen etc.) war ich offenbar im falschen Film und damit nicht allein.

Sicher ein sprachliches und feuilletonistisches Meisterwerk (man freut sich ja schon, wenn das gesprochene Wort tatsächlich mal verständlich ist, sogar ohne Untertitel) und eine hommage an das Theater - hätte ich mir ebendas lieber nach einer gewissen Vorbereitung im Theater angesehen.

Manche Zuschauer und sicher viele Kritiker werden den Film mögen.