Horse Money (2014)

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

In der Schattenwelt

Der neue Film von Pedro Costa beginnt in einer absoluten und drückenden Stille mit Fotografien der New Yorker East Side Slums und deren Bewohnern. Fotograf ist der in die USA emigrierte Däne Jacob Riis, den man zumindest bezüglich seiner Kunst als einen Seelenverwandten von Costa erkennen mag. Beide verbinden in ihrem Schaffen eine politische Dringlichkeit mit einer demokratischen Aufmerksamkeit für die Stimmen der Unterschicht mit einer brillanten Ästhetik der Schatten und Abgründe. Das gebannte Luftanhalten, das einen in diesen ersten Momenten des Films heimsucht, wird über die gesamte Laufzeit nicht aufhören.

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Horse Money ist Costas erster Langfilm, seitdem er vor fünf Jahren sein hypnotisches Künstlerportrait Ne Change Rien präsentierte. Der Filmemacher schließt durchaus an seine vorherigen Werke wie die Fontainhas-Trilogie oder einige Kurzfilme, die er seither fertig stellte, an. Wieder treibt er eine minimalistische Digitalästhetik auf expressionistische Höhen, die man sich nicht mal zu erträumen wagte und wieder gelingt es ihm in einem einzelnen Bild oder zwischen zwei Bildern mehr über Menschlichkeit, Gefühle und Lebensumstände zu erzählen, als andere in ganzen Filmen. Die Herstellung des Films mit bewusst extrem geringen Mitteln und der mehr oder weniger identischen Stock Company aus Laiendarstellern, die sich selbst und etwas anderes zur gleichen Zeit spielen (Bertolt Brecht wäre stolz), gliedert sich auch wunderbar in das Werk des Portugiesen ein, der sich nach seinem ersten Film Blood mehr und mehr aus jeglichem industriellen Filmemachen verabschiedet hat und sich inzwischen ganz im Stil seines Vorbilds Jean-Marie Straub durchaus gerechtfertigt als eine Art Moralapostel des politischen Bewusstseins der weltweiten Filmproduktion stilisiert. Im Zentrum der Geschehnisse, die mit intensiver Lichtsetzung und einer betörenden Bildgestaltung fast vibrierend und doch respektvoll beobachtet werden, steht wieder jene Figur, die für Costa so etwas wie die Seele seiner Arbeit ist: Der kapverdische Immigrant Ventura, eine physische Präsenz, der in einer gesunden Welt ein Superstar wäre und es in dieser kranken Welt gottseidank nicht ist.

Ventura befindet sich in vielen unterschiedlichen Krisen, die dadurch gesteigert werden, dass Costa sich auf deutlich abstrakteres Terrain wagt als bei seinen anderen Langfilmen. Die Vergangenheit und Gegenwart von Ventura werden wie zwei Folien übereinandergelegt und die Grenzen verschwimmen. Neben der von der Krankheit des realen Ventura inspirierten Krankheitsgeschichte der Figur in einem verlassenen Krankenhaus, die in erschütternden Zitter- und Spuckanfällen eine körperliche Präsenz bekommt, die einem einfach nahegehen muss, beleuchtet (wenn man in den Schattenwelten davon sprechen kann) Horse Money die Ereignisse in Portugal 1974, als Ventura einen Landsmann mit einem Messer erstochen hatte. So behauptet der ältere Ventura, gekleidet wie ein junger Aufreißer, dass er 19 Jahre und 3 Monate alt sei, er wird von einem Panzer, als driftender Mann nackt und nachts auf der Straße abgefangen, Krankenhaus und Gefängnis verschmelzen zu einem abstrakten Raum und genau dasselbe lässt sich über die politische Vergangenheit und Gegenwart Portugals sagen. Eine klare Narration würde sich wohl kaum rekonstruieren lassen, denn der Film findet in den Erinnerungen, Albträumen und Delirien seiner Protagonisten statt. Aber auch das Kunst- und Filmverständnis von Costa findet hier mit einigen Zitaten in Bild und Dialog seinen Ausdruck. Neben Ventura gibt es eine neue Figur im Universum von Costa, die zerbrechliche Wucht Vitalina, die wie ein hypnotisierter Schleier aus einem Jacques Tourneur Film nur flüsternd durch die dunklen Korridore schlendert, bis sie alle um sich manipuliert und zerstört hat — inklusive sich selbst. Ein Wesen wie der Film selbst, voller unberechenbarer, zitternder Schönheit. Einmal kullern gläserne Tränen in einem Lichtschimmer über ihre Wangen, als sie ihre Geburtsurkunde vorliest. Diese Trauer über das Leben spricht nicht mehr wie noch in Colossal Youth von einer Sehnsucht nach einem anderen Leben, sondern von der Sehnsucht nach dem Sterben oder Leben an sich. Denn so ganz sicher kann man sich nicht sein, dass nicht alle Figuren im Film aus einer Geisterwelt entspringen.

Da gibt es zum Beispiel einen Arbeiter, der behauptet, seit zwanzig Jahren jeden Tag in eine Werkstatt zu kommen, um endlich sein Gehalt zu erhalten. Die anderen Patienten im Krankenhaus sitzen regungslos, fast wie in einem Zombiefilm, oft zeigt Costa seine Figuren nur in Silhouetten. Es ist ein surrealistischer Sog, der zugleich völlig real und völlig realitätsfremd erscheint. Den Gipfel der Abstraktion findet man in einer Aufzugssequenz, in der Ventura endgültig mit den Geistern seiner Vergangenheit konfrontiert wird und die Costa in etwas längerer Form für sein Segment Sweet Exorcism im Centro Histórico Omnibus-Projekt verwendete. Vielleicht ist ein süßer Exorzismus auch genau das, was der Film mit seinen Zusehern, seinen Figuren und sich selbst macht. Es gibt nur wenige Regisseure, die es vermögen, trotz einer derartigen Länge der einzelnen Einstellungen (obwohl der Film deutlich schneller geschnitten scheint, als zum Beispiel In Vanda’s Room) durchgehend eine so hohe Intensität zu erlangen, die jedes Augenzwinkern, jede kleine Bewegung zu einem Kinoereignis macht. Besonders beeindruckend ist zum Beispiel die an F.W. Murnaus Tabu erinnernde Abwehrhaltung von Ventura oder ein Lächeln von Vitalina, das schlicht zu den schönsten der Filmgeschichte zählen muss. Diese Spannung legt sich auch auf die Dialoge, die in einer poetischen Sparsamkeit von der Essenz eines Gefühls, einer Einsamkeit oder des verglühenden Lebens sprechen. Jeder Atemzug, jeder Laut ist ein kleiner Tod, eine Erschütterung im persönlichen und gesellschaftlichen Krankheitsbild.

Besonders virtuos geht Costa mit Licht und Schatten sowie dem Unsichtbaren im Bild, dem Off-Screen und der Tonebene um. Alles ist hier bis ins kleinste Detail komponiert, eine Symphonie filmischer Methoden, die stets das im Auge behält, was sie zeigt und vor allem, wie sie es zeigt. Zu Beginn wird Ventura praktisch aus einer Fiktion geboren, denn in einer der wenigen Kamerabewegungen des Films schwenkt die Kamera vom Bild eines schwarzen Mannes auf den leidenden Körper von Ventura, der mit dem Rücken zu uns im Schatten verschwindet und dessen Augen wir lange nicht erkennen können. Immer wieder packt Horse Money die Neugier des Zusehers, indem er ihn am Anfang der Szene nicht erkennen lässt, was passieren wird, wer dort kommt oder was sich hinter den Türen abspielt. Lange Dialoge ohne Gegenschuss und ein kalter Schauer in der letzten Einstellung, die einem klarmacht, dass man genau hinsehen muss, fügen sich traumwandlerisch in dieses Konzept.

Das Tondesign ist unerreicht und bedarf eigentlich einer eigenen Studie. Im Krankenhaus gibt es einmal ein Konzert von knarzenden Türen, als Ventura am meisten leidet ist plötzlich Vogelgezwitscher zu hören und jeder Zug an einer Zigarette wird zu einer kleinen Transformation der filmischen Realität. Costa verweigert sich sein eigenes Begehren und lädt seine Bilder dadurch mit einem dringlichen Gefühl auf. Aber Horse Money ist ganz in der Linie von Colossal Youth auch ein modernistischer Film. Nicht nur setzt Costa eine völlig überraschende musikalische, fast an Spike Lee erinnernde Sequenz in die Mitte des Films, in der er wie auf den Fotos von Riis zu Beginn des Films die Bewohner von Fontainhas portraitiert und damit auch die Stille bricht. Auch der bereits angesprochene Aufzug oder ein plötzlich hineinfahrendes Motorrad sowie eine Sequenz im Wald zeigen die modernistischen Tendenzen des Filmemachers. Jedoch ergibt es kaum Sinn, Cavalo Dinheiro in solche Kategorien zu stecken, denn er wird immer wieder und mit jedem neuen Sehen eine andere Gestalt annehmen. So erscheinen die Gesangseinlagen von Ventura nicht abstrakt, sondern schlicht dieser Welt entspringend. Das Verhältnis von Realität und Film hat durch Pedro Costa eine neue Dimension bekommen.

Vielleicht sollte man gar nicht den Versuch wagen, Horse Money zu beschreiben wie ich das nun getan habe. Vielleicht wäre es besser, wenn man sich einen einsamen Mann vor einer Bergwand vorstellt, bei rotem Himmel, er wird untersichtig gefilmt und wir sehen jede Pore seiner Haut, jede kleine Regung und er schreit all seine Gefühle gegen die Wand. Von dort kommen sie wie ein ewiges Echo zurück und dieses Echo ist Cavalo Dinheiro von Pedro Costa — für mich mit großer Sicherheit der Film des Jahres.

Horse Money (2014)

Der neue Film von Pedro Costa beginnt in einer absoluten und drückenden Stille mit Fotografien der New Yorker East Side Slums und deren Bewohnern. Fotograf ist der in die USA emigrierte Däne Jacob Riis, den man zumindest bezüglich seiner Kunst als einen Seelenverwandten von Costa erkennen mag.

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