Hinter der Tür

Eine Filmkritik von Lida Bach

Geschichte einer Dienerin

„Emerenc hat sich noch nie vor etwas gefürchtet“, sagt ein alter Bekannter über die starrsinnige Frau (Helen Mirren), welche Magda (Martina Gedeck) und ihr gesundheitlich angegriffener Mann Tibor (Karoly Eperjes) einstellen. „Sie hat schon viele Stürme überlebt.“ Eines dieser Unwetter verbrannte ihre Schwestern zu Asche und trieb ihre Mutter in den Selbstmord, eines verwüstete in Form des Krieges das Land und spielte Emerenc Raubgut und eine Pflegetochter in die Hände und eines zieht über Magdas Haus, indem sie die letzten Jahre ihres Dienstbotenlebens verbringt.
Unmerklich drängen István Szabós Bilder den Zuschauer in die Rolle des unsichtbaren Gastes der von Magda Szabó mit autobiografischen Zügen versehenen Schriftstellerin, der in dem psychischen Kräftemessen zwischen ihr und der herrischen Dienerin Stellung beziehen muss. Wie die Machtverhältnisse zwischen ihr und der Ich-Erzählerin tatsächlich verteilt sind, suggeriert die erste Begegnung der Hauptfiguren. Nicht Emerenc bewirbt sich um die Anstellung, sondern Magda bewirbt sich als Arbeitgeberin bei ihr. „Ich wasche nicht von allen Leuten die Wäsche“, verkündet sie schroff der gesellschaftlich höher gestellten Hausherrin auf deren im adretten Aufzug unternommenen Gang nach Canossa zur Dienstbotenbehausung. Deren stets verschlossene Tür inspirierte den Titel von Magda Szabós 1987 erschienenem Roman Die Tür, den István Szabós Kinoadaption Hinter der Tür zu einer Perlenkette psychologischer Konfrontationen auffädelt.

Zuständig für das, was die Arbeitgeber beseitigt haben wollen, ist Emerenc eingeweiht in deren Intimitäten. Scheinbar ungerührt fächert sie gleich einer Hausiererin die Palette ihrer Dienstleistungen vor Magda auf. Sie selbst ist von tadelloser Reputation und ihre Gunst fungiert als ein moralisches Gütesiegel vor den Nachbarn des neu zugezogenen Paares. Delikat Privates plaudert sie nicht nur nicht aus, vielmehr kann sie es nach außen hin lupenrein aussehen lassen. Emerenc versteht es zu feilschen, ohne sich dabei je die Blöße der Käuflichkeit und Unredlichkeit zu geben. Käuflich und unredlich müssen die anderen sich fühlen, wenn sie Emerencs unansehnlichen Geschenken Ehrenplätze einräumen und neben dem Haushalt auch ihren Alltag nach den Launen der Angestellten einrichten. Hässlich und vulgär, sind die Geschmacklosigkeiten aus Porzellan, Tierkadavern und bemalter Leinwand eine Allegorie auf Emerencs egoistische Zuneigung. Die einzige Funktion der Präsente ist es, das Heim akkurat und anständig wirken zu lassen, obwohl die Art, in der sie es tun, durchaus umstritten ist.

Mehr als zu geben fordern sie: Aufmerksamkeit, Rücksichtnahme und eine Dankbarkeit, die umso absurder scheint, da das Dankobjekt eine Last ist. Wie Emerenc, deren Fürsorge etwas Vergiftetes und Besitzergreifendes innewohnt. Nippes übergibt sie, indem sie unaufgefordert ins Schlafzimmer der Eheleute tritt, wie ein Schulkind einen Vers aufsagt und beleidigt auf Kritik reagiert, definiert die Geschenke als Embleme ihrer Gewalt über das Haus und dessen Bewohner. „Wenn sie Geschenke für Sie aussucht, denkt sie an zwei Kinder, gesteht Emerencs Neffe dem Ehepaar, das — von seiner intellektuellen Autorität überzeugt – sprachlos ist. Subjektive Rückblenden enthüllen den Vergleich als Euphemismus. Denn Emerenc betrachtet ihre Mitmenschen vielmehr als Haustiere, die sie wie die in ihrer Hütte eingepferchten Katzen und Magdas Hund quälen kann, ohne dafür verlassen zu werden wie von der Pflegetochter.

Diese hat sich im Gegensatz zur Erzählerin emanzipiert von Emerenc und dem von ihr verkörperten Diktat selbstgerechter Anständigkeit, die sich mit dem Niederbrechen der titelgebenden Tür beide in ihrer erniedrigenden Falschheit zeigen: als Schmutz, armselig und banal. Menschen kann Emerenc wie Haustiere abgöttisch lieben, aber sie haben zu gehorchen, ihre Bedürfnisse unterzuordnen und ihre selbsterkorene gesinnungsethische Überlegenheit kritiklos hinzunehmen. Inwieweit das Drama diese Haltung teilt, bleibt im Dunkel des magischen Realismus verborgen. Absichtlich oder instinktiv findet er eine kongeniale Bildsprache für die ambivalenten Gefühle gegenüber den zwiespältigen Figuren.

Hinter der Tür

„Emerenc hat sich noch nie vor etwas gefürchtet“, sagt ein alter Bekannter über die starrsinnige Frau (Helen Mirren), welche Magda (Martina Gedeck) und ihr gesundheitlich angegriffener Mann Tibor (Karoly Eperjes) einstellen. „Sie hat schon viele Stürme überlebt.“
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Meinungen

Martin Zopick · 19.06.2022

Die schauspielerische Qualität der beiden Kontrahentinnen Martina Gedeck (Magda) und Helen Mirren (Emerenc) ist unbestritten. Sie liefern sich ein Psychoduell auf höchstem Niveau, und auf Augenhöhe. Dabei könnten die beiden Frauen unterschiedlicher nicht sein. Magda, eine intellektuelle Schriftstellerin, noch relativ jung und liberal, Emerenc ihre alte Zugehfrau von Enttäuschungen verbittert, von Gram gebeugt, bockig, mürrisch und verschlossen. Sie nennt Magda "Herrin", ihren Ehemann Tibor " Gebieter". Andererseits sind sie sich in mancher Hinsicht sogar irgendwie ähnlich. Magda ist feminin, eher weich und offen. Ihr Intellekt ist die scharfe Kante, mit der sie sich gegen ihre Umwelt durchsetzt. Emerenc scheint nur äußerlich zu Stein erstarrt, feuert ihre kurzen Antworten wie Gewehrsalven ab. Ihr Weltbild ist klar sozialistisch geprägt, ihre Weiblichkeit hat sie tief vergraben. Nur ganz selten lässt sie sie durchschimmern. Und sie hütet ein Geheimnis 'hinter ihrer Tür‘. Das ist wichtig für die Spannung. Erst eine körperliche Schwäche zwingt Emerenc es zu lüften. Soweit kann man Szabo folgen. Doch dann geht es unter dem Aspekt Atheismus und Christentum in philosophisch abseitsgelegene Gefilde: 'Ich töte meine Freunde, weil ich sie liebe bzw. ich helfe meinen Freunden nicht, wenn ich sie rette.' Am Ende überschattet ein theatralischer Symbolismus die Szene: ein orkanartiger Regenguss ebbt ab, nachdem Magda die tote Emerenc um Verzeihung gebeten hat. Bis auf diesen kleinen finalen Schlenker ein grandioses Kammerspiel, hervorragend in Szene gesetzt.

Erst gerade gesehen, dank ARD · 19.02.2020

Ein wunderbarer Film. Die Kritik kann ich nicht nachvollziehen, weil es gerade um eben diesen eingeschränkten Radius, zeitlos geht. Was ist das Wesentliche? So einfach, logisch, banal und nachvollziehbar gleichzeitig, die Erklärung warum Emerence niemanden ins Haus lässt. Die Tiere sind ihre "Familie", ihr Leben. Wohlwissend, dass jeder urteilt nach dem was MAN urteilt, in der Masse. Sie weiss und liegt richtig, dass sie niemals verstanden wird, obwohl man sie schätzt und ehrt. All das kommt gerade Dank des minimalistischen Stils des Filmes hervorragend zur Geltung. Der Film hat mich sehr berührt.

tystie · 04.04.2012

Die obige Kritik weist faktische Fehler auf. Der Film ist jedenfalls sehenswert, werden hier doch nicht homunculi technici vorgeführt, wie heute nahezu unvermeidbar, sondern Menschen unterschiedlichen Standes, die auf gleicher Augenhöhe unmittelbar miteinander agieren. Intellektueller, selbstgefälliger Anspruch kracht auf lebensgeformtes Selbstbewusstsein. Eine Handlung aus der Zeit vor dem ökonomischen Zombietum.

Margot Stommel · 10.03.2012

Eine berührende Erzählung, die zum Nachdenken anregt.Öfters liest man in der Tagespresse über auffälliges und störrisches menschliches Verhalten oder geht gedankenverloren an "merkwürdigen" Menschen in der Masse der Stadt vorbei. In einem Bruchteil von Sekunden werden nonkonforme Menschen beurteilt oder verurteilt. Wer sich mit dem Schicksal von Emerenc befasst, macht sich zukünftig vielleicht mehr Gedanken über seine nicht immer angenehmen oder angepassten Mitmenschen. Es steckt viel mehr in dem Film, als eine Darstellung eines Einzelschicksals. Für die Hauptdarstellerinnen bedeutete das Zurückhaltende der Erzählung eine große Herausforderung. Empfehlenswert ist der Film auf jeden Fall, insbesondere auch für junge Menschen.