Headshot

Eine Filmkritik von Lida Bach

Die Welt steht Kopf

„Ist dir klar, was für Glück du hast? Nur einer unter einer Millionen überlebt so was.“ Der Arzt, dessen verschwommenes Gesicht Tul über sich sieht, als er zu sich kommt, macht keine Witze. Doch wie ein zynischer Scherz müssen die Worte von Dr. Suang (Krerkkiat Punpiputt) dem Gesetzeshüter erscheinen. Die letzten drei Monate hat Tul im Koma verschlafen und was ihn dorthin versetzt hat, nimmt der Titel von Pen-ek Ratanaruangs nachdenklichem Thriller vorweg. Headshot beginnt mit einer Attentatssequenz, die in ihrer Kompromisslosigkeit dem Hauptcharakter kaum nachsteht. Sein Abstieg in den Sumpf von Intrige und Bestechlichkeit wird dem gespaltenen Antihelden (Nopachai Jayanama) ebenso zum Verhängnis wie der unauflösliche Gewissenskonflikt, in den ihn das Töten bringt.
Was sich als gradliniger Crime-Streifen an den Zuschauer heranpirscht, entpuppt sich als gedankenvolles Drama über den Zwang zum Verbrechen in einer Gesellschaft, in der Käuflichkeit und schmutzige Geschäfte unter Staatsmännern und Thailands Parteielite zum guten Ton zählen. „Beruf: Politiker“, tippen anonyme Finger zu Beginn auf einer Schreibmaschine. Die Nachricht, die sie verfassen, ist ein Mordauftrag. Derjenige, der ihn ausführen soll, ist Tul. „Nur zwei Sorten Menschen tragen eine Waffe“, sagt ihm die junge Rin (Sirin Horwang), die unfreiwillig zur Fahrerin auf seiner Flucht vor seiner Vergangenheit Polizisten wird: „Polizisten und Kriminelle.“ Die Grenze zwischen denen, die das Gesetz verteidigen, und jenen, die es brechen ist unscharf, der Übergang nur die Frage eines Augenblicks. Letzterer kommt für Tul, als ein abgekartetes Verbrechen ihn ins Gefängnis bringt.

Das Gegenangebot zur Haft waren fünf Millionen Bath, die ein Staatsbeauftragter Tul dafür bietet, dass er einen kriminellen Politiker von Verdächtigungen freispricht: „Oder sollen es zehn Millionen sein?“ Als Tul sich weigert, sich zu einer Schachfigur auf dem Spielbrett von Geld und Macht degradieren zu lassen, wird er selbst zum Bauernopfer. Mit sicherer Hand führt Ratanaruang den konzentrierten Hauptdarsteller durch die in fahle Schattenfarben getauchten Szenenbilder. Die eigentliche Stärke des Regisseurs und Drehbuchautors indes liegt weniger in der sparsamen Inszenierung, als in der unter dem soliden Kriminalplot lauernden Drohung allmächtiger Korruption. Jede Existenz, ob hochrangig oder gering, wird von ihr vergiftet. Alle sind käuflich, sei es Tuls Freundin Tiwa (Chanokporn Sayoungkul), Rin, Dr. Suang oder er selbst.

Je energischer er sich der kriminellen Maschinerie zu widersetzen versucht, desto fester verhakt er sich in deren Räderwerk. „Ich dachte, Menschen seien mit Mitgefühl und Anstand ausgestattet. Aber nun bin ich mir nicht mehr so sicher“, sagt Tul, für den Joys Tod die Abtötung jenes Gefühls bedeutet, auf das ihr Name semantisch verweist. Um das Übel zu bekämpfen, müsse man es an der Wurzel packen, sinniert Tul, dessen Stimme die fatalen Ereignisse aus dem Off begleitet. „Auge um Auge“, das sei das Prinzip, das gelten müsse in einer Gesellschaft, die resistent sei gegen die lenkenden Einflüsse von Bildung und Rechtsstaat. Die Welt wurde nicht auf der Grundlage von Güte und Tugend geschaffen, sondern auf der von Neid und Selbstsucht, ist das bittere Fazit des Protagonisten, dessen niederdrückende Angemessenheit der Thriller schließlich bestätigt.

Gerechtigkeit ist in Headshot nur eine Frage der Perspektive und sie ändert sich für Tul nach dem Kopfschuss nachhaltig. Als neurologische Folge der Hirnverletzung steht Tuls Welt buchstäblich Kopf. Die verkehrte Sichtweise ist eine plakative, aber clevere Metapher für die Umkehr der moralischen und gesetzlichen Credos des zwischen Verbitterung und Spiritualität zerrissenen Protagonisten, der von sich sagt, er möge keine guten Menschen. „Sie sterben jung.“ Und besitzen nicht die psychologische Ambivalenz, auf die Headshot abzielt.

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„Ist dir klar, was für Glück du hast? Nur einer unter einer Millionen überlebt so was.“ Der Arzt, dessen verschwommenes Gesicht Tul über sich sieht, als er zu sich kommt, macht keine Witze.
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