Hannah Arendt

Eine Filmkritik von Björn Helbig

Von der Kraft des Denkens

Hannah Arendt, die bedeutendste Vertreterin der politischen Theorie des zwanzigsten Jahrhunderts, wurde 1906 in Hannover geboren. Wegen ihrer jüdischen Abstammung wurde sie von den Nazis ausgebürgert und inhaftiert, konnte aber nach Amerika emigrieren. Dort war sie als Dozentin und Journalistin tätig. 1961 ging sie als Reporterin für The New Yorker nach Jerusalem, um über den Eichmann-Prozess zu berichten. Ihr darüber verfasster Bericht und ihre Analyse zur „Banalität des Bösen“ brachte ihr allerdings viel Kritik ein. Arendt starb 1975 in New York. Der Film von Margarethe von Trotta konzentriert sich auf den Eichmann-Prozess und die Folgen.
An Philosophen interessiert uns meist weniger wie sie gelebt, geliebt und gelitten haben. Im Film z.B. liebt Hannah Arendt (Barbara Sukowa) Heinrich Blücher (Axel Milberg), hat eine beste Freundin, Mary McCarthy (Janet McTeer) und eine treue Sekretärin, Lotte Köhler (Julia Jentsch). Spannender ist es doch, was ein Philosoph gedacht hat! Leider lässt sich das in Filmen nur schlecht zeigen. Die Handlungen von Menschen, vielleicht sogar ihre Intentionen, lassen sich darstellen. Bei abstrakten Ideen ist das schon schwieriger. Der Zuschauer steht bei Trottas Film deswegen vor der Herausforderung, nicht nur Empathie für die von Sukowa stark gespielte Hauptfigur zu empfinden, sondern auch ein Bewusstsein für ihre ideellen Leistungen zu entwickeln. Von Trotta konzentriert sich auf zwei davon: Arendts Analyse zur „Banalität des Bösen“ und die Kraft, welche dem kritischen Denken innewohnt. Beide Aspekte hängen zusammen.

Zu dem Ausdruck „Banalität des Bösen“ kam Arendt durch ihre Beobachtungen im Eichmann-Prozess. (Die Einbindung von Originalaufnahmen gehört zu den Höhepunkten des Films!) Sie war erstaunt, dass Adolf Eichmann auf sie nicht wie ein Monster wirkte, sondern eher wie ein Jedermann, ein Beamter und „Hanswurst“, ohne eigene Motive, der schlichtweg Befehle ausführte. Das Böse hatte ihrer Meinung nach im Nationalsozialismus eine neue, bis dahin unbekannte Ausprägung erreicht, weil nicht mehr ein einzelner die Taten begangen, sondern das abstrakte System den einzelnen entmenschlichte und zum anonymen Rädchen in der Todesmaschine gemacht hatte. Viele sahen ihre Schlussfolgerungen allerdings als einen Versuch an, Eichmanns Verantwortlichkeit herunterzuspielen. Hannah Arendt machte sich damit vor allem unter Juden viele Feinde. Eindrucksvoll schildert von Trotta, wie sich sogar Arendts Freunde nach und nach von der eigensinnigen Denkerin abwandten.

Der andere Aspekt, das philosophische Wirken von Arendt, ist wesentlich abstrakter: Es ist ihr Verhältnis zum Denken an sich. Das Denken bildet für sie den Gegenpol zur Entmenschlichung durch ein anonymes System. Denken meint hier nicht das Treibenlassen der Gedanken oder das freie Assoziieren. Denken meint die kritische, der Wahrheit verpflichtete, Auseinandersetzung mit der Welt. Nur auf diesem Weg kann der Mensch Mensch bleiben und sich sowohl im Kleinen als auch im Großen, z.B. im Kampf gegen menschenverachtende Systeme wie den Nationalsozialismus behaupten. Hannah Arendt lebte es vor, indem sie trotz äußeren Drucks zu ihren begründeten Ansichten stand.

Hannah Arendt hat als Film durchaus seine Schwächen. Der Versuch, das Denken einer bedeutsamen Frau ins Zentrum zu stellen führt dazu, dass man sie oft irgendwo sitzen und Bücherberge durcharbeiten sieht oder wie sie konzentriert aus dem Fenster schaut und sich mit nachdenklichem Gesichtsausdruck eine Zigarette nach der anderen ansteckt. Jemandem beim Denken zuzuschauen, ist nicht besonders spannend. Hinzu kommt, dass die Geschichte, obwohl sie sich doch schon auf so wenige Aspekte von Arendts Leben konzentriert, trotzdem seltsam unkonzentriert wirkt. Besonders deutlich wird dies an den fast schon zufällig wirkenden Rückblenden, die Schnipsel aus Arendts Studienzeit und ihrer Beziehung zu Martin Heidegger (Klaus Pohl) zeigen. Die sind allerdings weder für sich genommen besonders aussagekräftig, noch haben sie mit dem Kern des Films zu tun. Ähnliche Abschweifungen, wenn auch nicht ganz so auffällig, lassen sich immer wieder im Film beobachten.

Dass der neue Film von Margarete von Trotta trotzdem absolut sehenswert ist, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen führt sie mit Hannah Arendt nach Filmen wie Rosa Luxemburg oder Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen ihr thematisches Interesse an einflussreichen Frauen auf hohem Niveau weiter und schafft es, einer bedeutsamen deutschen Philosophin ein filmisches Denkmal zu setzen. Zum anderen zeigt sie dem Zuschauer ein wirksames Gegenmittel gegen das banale Böse: das eigenständige Denken. Diese Erkenntnis wird dem Zuschauer allerdings nicht in den Schoß gelegt. Er muss sie sich erarbeiten.

Hannah Arendt

Hannah Arendt, die bedeutendste Vertreterin der politischen Theorie des zwanzigsten Jahrhunderts, wurde 1906 in Hannover geboren. Wegen ihrer jüdischen Abstammung wurde sie von den Nazis ausgebürgert und inhaftiert, konnte aber nach Amerika emigrieren. Dort war sie als Dozentin und Journalistin tätig. 1961 ging sie als Reporterin für „The New Yorker“ nach Jerusalem, um über den Eichmann-Prozess zu berichten.
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Meinungen

Unicorn · 11.03.2013

Ein durchaus nachdenklich machender Film. Leider kein ganz GROSSER! Interessant wie er aufzeigt, wie schnell auch wichtige Figuren fallengelassen werden, wenn sie nicht ins gewünschte Horn blasen.
Ein treffendes Spiegelbild für heutige zeitgeistige Abnicker und Weggucker ! Sehenswert!

Hans Arp · 08.03.2013

Der Film zeigt, wie groß die Macht des Systems ist, wie ich finde nicht nur der totalitären Systeme. Das man Wissen nicht durch lesen erlangen kann, sondern dass es nur durch Erfahrung zu unserem Bewußtsein werden kann können wir schon vom Buddhismus lernen. Dass ein Mensch, je geringer das Niveau seines Bewußtsein ist, umso stärker im Sinne des Systems funktioniert, ist eine große Wahrheit. Margarethe von Trotta besetzt die Rolle sehr gut. Dass sie ohne eine Intuition, ohne Liebe zu einem Volk ist, finde ich wunderbar. Der Film lohnt sich.

Ann · 11.02.2013

ist die Film mit Untertiteln in English?

Wombat · 28.01.2013

Das Denken verändert unsere Welt, wenn es im Sinn der Humanität und ohne politischer Korrektheit stattfindet. Danke Margarthe von Trotta, für das Erinnern. Das Kino war leider nicht voll besetzt, wir sahen den Film zu neunt. Was erwarten die Menschen vom Leben, wenn sie das Vorrauschauen nicht wagen? Das Böse flieht, wenn wir nicht mehr nur an uns denken und Probleme werden zu Aufgaben. Hannah Arendt wollte uns warnen, damit wir nichts verschlafen, in gedankenloser Willfährigkeit.

Rolf Stenzel · 13.01.2013

Margarethe von Trotta hat sich viel vorgenommen: die ansprucsvolle These der "Banalität des Bösen" am Beispiel von Adolf Eichmann von Hannah Arendt zu erklären - als Spielfilm! Ich finde es ist ihr gelungen - bravo! Außerdem sieht man eine nicht mehr junge Schauspielerin Hanna Sukowa in close-up - fast ungeschminkt und sicher ungeliftet - auch beeindruckend, und typisch für die Regisseurin. Lohnenswert!

Michaela Striebich · 13.01.2013

Nach fünf Minuten erschrack ich so, dass mich das Bild nicht mehr los ließ: die Besetzung des Freundes "Hans" ist derselbe Schauspieler, der die Filmrolle des Hernn Taschenbiers aus Sams spielt und deswegen sehr unglücklich gewählt ist. Der Titel gibt eine Autobiographie vor - Schwerpunkt wird auf den Eichmann Prozess gelegt---die Verbindung zu Heidegger ihre Beziehung und dem nicht Stattgeben von Heidegger kommt gänzlich zu kurz.
Für mich ein Film, den es nicht lohnt, in Erinnerung zu behalten- noch um darüber in Diskurs zu treten. Ein toller Name mit dem mal wieder leicht Geld verdient wird.

Friederike · 12.01.2013

Ein unglaublich dichter und anspruchsvoller Film! Es ist Margarethe Von Trotta gelungen, ein umfassendes Bild der Persönlichkeit Hannah Arendts und ihrer Denkweise aufzuzeigen. Darüberhinaus sind die Sequenzen durch die Einspielungen der Originalfilmmit-schnitte des Eichmannprozesses unglaublich eindrucksvoll und sehr, sehr stimmig. Selbst der Sprachwechsel unterstreicht die sprachliche Zerrissenheit Arendts, die beim Schreiben immer wieder auf ihre Muttersprache zurück griff.
Höchster Filmgenuss über ein schweres Thema!