Grigris' Glück

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Tanz um dein Leben!

Am Tage ist Souleymane Démé (so heißt in Mahamat-Saleh Harouns Film nicht nur die Hauptfigur, sondern auch der Mann, der diese Figur spielt) nur ein Krüppel in den Straßen von N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad. Doch am Abend, in der Disco, verwandelt er sich in „Grigris“, den Tänzer. Obwohl sein linkes Bein vollkommen dystrophiert ist, schafft der Mann, der aus Burkina Faso stammt, auf der Tanzfläche die unglaublichsten Verrenkungen und Figuren und wird zum umjubelten Star der Nacht.
Als Grigris‘ Stiefvater schwer erkrankt, muss aber dessen Krankenhausaufenthalt bezahlt werden — und dafür reichen die spärlichen Einkünfte durch das Tanzen nicht aus. Also wagt Grigris, der kurz zuvor die schöne Prostituierte Mimi (Anaïs Monory) kennengelernt hat, aus Verzweiflung den Schritt, sich einer Bande von Benzinschmugglern um deren Chef Moussa (Cyril Guei) anzuschließen. Bald schon sind Grigris und Mimi innerhalb des Mikrokosmos von Armut und Gewalt zwei Ausgestoßene, die von den Gangstern, mit denen sich der Tänzer eingelassen hat, erbarmungslos gejagt werden.

Armut, Ungleichheit und Ausgrenzung sind allgegenwärtig in Mahamat-Saleh Hirouns zweitem Cannes-Wettbewerbsbeitrag nach Un homme qui crie aus dem Jahre 2010. Und dennoch stehen Emotionen nicht im Mittelpunkt, sondern geschehen eher nebenbei, sind selbstverständlicher Bestandteil des Settings, in dem der Film angesiedelt ist. Genau das macht es anfangs schwer, die volle Bedeutung der zugrundeliegenden Gefühle in all ihrer Wucht zu erfassen. Die Lakonie und Klarsichtigkeit, mit der der Regisseur von seinem wunderbaren Helden und dessen schöner Prinzessin und deren Liebe in Gefahr erzählt, heischt nicht um Sympathie, sondern lässt diese ganz beiläufig und wie von selbst entstehen. Hiroun will mit seinen Bildern nicht überwältigen (die einzige Ausnahme sind sicherlich die Tanzszenen), will nicht zu Gefühlen und zur Identifizierung zwingen, sondern er vertraut auf das Charisma seiner beiden Protagonisten — und daran tut er gut.

Mit Grigris verhält es sich fast ein wenig wie mit der Liebe zwischen dem Tänzer und seiner schönen Geliebten — es ist eine Liebe, die erst auf den zweiten oder dritten Blick entsteht. Dann aber ist sie umso intensiver und haltbarer als so manch „coup de foudre“. Und so ganz nebenbei zeigt der Film ganz am Ende eine hinreißend leichte Liebeserklärung an die Solidarität und Lebensklugheit der einfachen Frauen in den Dörfern des Tschad. Als einer der Gangster das junge Paar, das aufs Land geflohen ist, aus Rache ermorden will, verprügeln ihn die zu Hilfe gerufenen Frauen mit ihren Backhölzern derart, dass am Ende von der Gefahr nichts weiter übrigbleibt als ein verbranntes Autowrack und ein verkohlter Leichnam. Das mag vielleicht wie eine auf (Gegen)Gewalt gebaute Illusion erscheinen, doch in diesem Fall erscheint sie nicht nur angemessen und legitim, sondern auch ganz selbstverständlich.

Grigris' Glück

Am Tage ist Souleymane Démé (so heißt in Mahamat-Saleh Harouns Film nicht nur die Hauptfigur, sondern auch der Mann, der diese Figur spielt) nur ein Krüppel in den Straßen von N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad. Doch am Abend, in der Disco, verwandelt er sich in „Grigris“, den Tänzer.
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