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Die filmische Wiederbelebung des Western hat nach dem Kino nun auch den Serienbereich erfasst. Und weil bei Scott Franks Godless der ausführende Produzent kein Geringerer als Steven Soderbergh ist, sind die Erwartungen an das Werk ziemlich hoch. 

Godless (Staffel 1) (2017)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Gott? Was für ein Gott?

In jüngster Zeit konnte man das uramerikanische Western-Genre in Filmen und Serien vor allem in Kombination mit anderen Elementen erleben: So trafen etwa in Logan: The Wolverine Western-Motive auf Superhelden-Action sowie auf eine Roadmovie-Erzählung; in der HBO-Serie Westworld werden sie indes (auf Basis des gleichnamigen Films aus dem Jahre 1973) mit einer Science-Fiction-Story verknüpft. Die sieben Episoden umfassende Netflix-Miniserie Godless ist demgegenüber vergleichsweise klassisch – allerdings durchaus nicht innovationslos.

Scott Frank – der Schöpfer der Serie, welcher auch am Skript von Logan: The Wolverine beteiligt war und überdies die Drehbücher zu so unterschiedlichen Werken wie Minority ReportDie Dolmetscherin und Marley & ich(mit-)verfasst hat – hatte Godless vor mehr als einer Dekade als Film für Steven Soderbergh entworfen und wurde von diesem schließlich dazu ermutigt, den Stoff als Serie umzusetzen; Soderbergh fungierte dabei als ausführender Produzent. Die Handlung spielt im Jahre 1884 in der Minen-Siedlung La Belle in New Mexico, in welcher es vor einiger Zeit zu einem schweren Unglück unter Tage kam, bei dem 83 Arbeiter – und somit ein Großteil der männlichen Stadtbevölkerung – starben. In La Belle wohnen daher überwiegend Witwen; zu den wenigen verbliebenen Männern des Ortes zählen der Sheriff Bill McNue (Scoot McNairy) und der junge Deputy Whitey Winn (Thomas Brodie-Sangster).

Etwas außerhalb der Siedlung lebt Alice Fletcher (Michelle Dockery) mit ihrem adoleszenten Sohn Truckee (Samuel Marty) und ihrer Schwiegermutter Iyovi (Tantoo Cardinal). Auch sie ist zweifache Witwe, verlor ihren ersten Ehemann jedoch kurz nach dem Kennenlernen durch eine Flutwelle, während der zweite – ein amerikanischer Ureinwohner – hinterrücks erschossen wurde. In der Stadt gilt Alice als Hexe, die das Minen-Unglück aus Rache heraufbeschworen haben soll. Eines Nachts taucht der verwundete Roy Goode (Jack O’Connell) auf ihrer Ranch auf; Alice gewährt ihm vorübergehend Unterkunft in ihrer Scheune. Bald erfährt sie, dass der Mann von dem brutalen Frank Griffin (Jeff Daniels) und dessen Bande gejagt wird. Frank, der sich von seinem Ziehsohn Roy verraten fühlt, droht damit, jede Person zu töten, die Roy hilft – und hinterlässt bei seiner Jagd eine blutige Schneise der Zerstörung.

Mit Bildern, die das Ergebnis dieser Zerstörungswut zeigen, beginnt die Serie: Der Marshal John Cook (Sam Waterston) reitet mit seiner Truppe durch die Kleinstadt Creede in Colorado, von welcher nur Asche und Staub, ein entgleister Zug und zahllose tote Körper übrig geblieben sind. Diese erschütternde Einstiegspassage macht bereits deutlich, dass Scott Frank nicht nur daran interessiert ist, die Blütezeit des Genres (circa zwischen 1910 und 1960) in Aufnahmen erhabener Landschaften und in einem sinnstiftenden Kampf zwischen Gut und Böse wieder aufleben zu lassen, sondern ebenso auf den Spätwestern rekurriert, welcher den Mythos der regeneration through violence nach dem Trauma des Vietnamkrieges nicht länger bewahren konnte beziehungsweise wollte – und stattdessen erkennen ließ, dass „Gewalt keine regenerierende Kraft mehr ist, sondern nur noch zerstörerisch“ (wie es in Reclams Sachlexikon des Films treffend heißt).

Scott Frank und sein Kameramann Steven Meizler fangen das Geschehen häufig in dreckigen Farben ohne Leuchtkraft und Sättigung ein; die Figuren müssen sich durch Regen und Schlamm bewegen oder werden von Fliegen gequält. Gleichwohl wenden sich Frank und Meizler nicht gänzlich von der Schönheit ab. Begrüßenswert ist dies immer dann, wenn es zu Momenten des Innehaltens kommt, wenn Blickwechsel intensiv erfasst werden, wenn die Ruhe vor dem Sturm spürbar gemacht wird – oder wenn sich Godless mit erstaunlicher Hingabe der Dressur der Pferde auf Alices Ranch widmet. In einigen Sequenzen, darunter auch die abschließende in der finalen Folge, wird die Cowboy-Romantik allerdings allzu ungebrochen zelebriert – als sei das Genre noch immer nicht möglich ohne die Darstellung des (vermeintlichen) Wunschtraumes, einsam am Horizont zu verschwinden, um entschlossen in ein großes Abenteuer zu reiten. Dabei reproduziert die Serie gängige Vorstellungen von Maskulinität, die offenbar nur in ungebundener Einzelgängerschaft denk- und lebbar ist.

In vieler Hinsicht befasst sich Godless jedoch überaus reizvoll und originell mit Geschlechterrollen. Nach der Veröffentlichung auf Netflix wurde sowohl in der Medienberichterstattung als auch in sozialen Netzwerken kritisiert, dass die Serie nicht die frauenzentrierte Erzählung ist, als die sie im Vorfeld vermarktet wurde. Tatsächlich rückt der (Zieh-)Vater-(Zieh-)Sohn-Konflikt zwischen Frank und Roy immer wieder in den Mittelpunkt; hinzu kommen unter anderem das sich entwickelnde Verhältnis zwischen Roy und dem Sohn von Alice, welches an Mein großer Freund Shane (1953) von George Stevens erinnert, sowie der Strang um den Sheriff Bill McNue, der seine Männlichkeit wiedererlangen muss. Zu diesen bekannten Western-Bausteinen werden indes sehr überzeugend feministische Elemente hinzugenommen: Die Frauen in Godlesssind keine plakativen Heldinnen wie zum Beispiel das weibliche Quartett aus Jonathan Kaplans oberflächlichem Genre-Beitrag Bad Girls (1994); vielmehr sind sie, ebenso wie das Gros des männlichen Personals, komplexe Charaktere mit einer Vergangenheit. „That’s another story“, sagt Alice an einer Stelle, nachdem sie Roy (und uns) in einen Teil ihrer Hintergrundgeschichte eingeweiht hat – sämtliche Figuren haben hier ein gelebtes Leben hinter sich, sie haben nicht eine Hintergrundgeschichte, die sich rasch schildern lässt, um ihr ganzes Handeln halbwegs zu motivieren, sie haben vieleHintergrundgeschichten, viele Wunden und Narben, Verluste und Enttäuschungen. Schön ist, dass Scott Frank die Geschehnisse zwischen Alice und Roy nicht zu einer tragischen Romanze hochschaukelt, sondern in erster Linie zwei Menschen zeigt, die voller Respekt miteinander umgehen. Die faszinierendste Figur in Godless ist aber Bills Schwester Mary Agnes (Merritt Wever): Die Bürgermeisterwitwe sieht die Vorteile der unerwarteten Unabhängigkeit, mit der die Frauen in La Belle plötzlich konfrontiert wurden. Sie hat ihre einengenden Korsetts und Kleider gegen die Klamotten ihres verstorbenen Mannes getauscht und eine Liebesbeziehung mit der Lehrerin Callie Dunne (Tess Fraze) begonnen. Diese erklärt einem Besucher wiederum freimütig, dass sie früher eine Hure war, ehe das Freudenhaus nach dem Minen-Unglück schließen musste und zur Schule umfunktioniert wurde. Als eine Minengesellschaft die örtliche Mine nutzen und damit das Patriarchat und den Kapitalismus in die Stadt zurückbringen will, ist es Mary Agnes, die sich entschieden gegen diese Rückkehr in alte Strukturen (und gegen den Sexismus des Vertreters der Minengesellschaft) auflehnt.

Godless erfüllt diverse Klischees, bricht jedoch auch mit einigen. Der Deputy Whitey Winn wird etwa als halbstarker Prahler eingeführt, gewinnt dann aber durchaus an Tiefe. Mit dessen Freundin Louise Hobbs (Jessica Sula), bei welcher der junge Mann Musikunterricht nimmt, werden zudem die afroamerikanischen Buffalo Soldiers in die Handlung integriert, zu welchen Louises Familie einst gehörte. Es geht in der Serie (auch) um Rassismus, um Solidarität, um die Überwindung von Vorurteilen und um das Verarbeiten von persönlichem Schmerz, von Trauer und Hass. Und natürlich geht es in einer Serie mit diesem Titel nicht zuletzt um Gott beziehungsweise um dessen Abwesenheit. „God? What God?“, faucht Frank in einer Szene. Dass derselbe Gott den Menschen und die Klapperschlange erschaffen haben soll, ergebe einfach keinen Sinn. Wenn Frank aus der Bibel zitiert oder ein Gebet spricht, ist dies stets eine perfide Drohung. In La Belle wird indessen fleißig an einem Haus für den zukünftigen Prediger gebaut, der sich schon vor Monaten per Telegramm aus Pennsylvania angekündigt hat. „He’s coming“, meint die schüchterne Sadie Rose (Kayli Carter) mit bemühter Überzeugung. Zwischen Franks nihilistischem Zorn und Sadies arglosem Glauben bewegt sich die Serie – und ist stets dann am besten, wenn sie die Balance findet, wenn sie eine Welt erahnen lässt, in der Freiheit im Denken und Handeln möglich ist, ohne dabei in naive Bilder zu verfallen, die nichts Neues, keinerlei Fortschritt, sondern nur uralte Ideen zulassen.

Godless (Staffel 1) (2017)

Die USA am Ende des 19. Jahrhunderts: Frank Griffin und seine Gang machen auf der Jagd nach Roy Goode den Wilden Westen unsicher, um Rache an ihm zu nehmen, nachdem dieser die eingeschworene Gemeinschaft verraten hat. Ihre Suche führt sie in die Kleinstadt La Belle, in der ausschließlich Frauen leben. Doch die haben sich auf die Seite des Flüchtigen geschlagen.

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