Godard trifft Truffaut - Deux de la Vague

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

In aller Freundschaft

Sie gelten als die beiden Protagonisten der „Nouvelle Vague“, die Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre als eine der Erneuerungsbewegungen des Films formal und inhaltlich, zum Teil revolutionäre Neuerungen in die erstarrte Welt des Kinos brachten. Neben Eric Rohmer, Jacques Rivette, Claude Chabrol und diversen anderen Filmemachern war es Jean-Luc Godard vor allem François Truffaut vergönnt, zu einer zentralen Gestalt der Bewegung zu werden, was vor allem mit seinem Film Les 400 coups / Sie küssten und sie schlugen ihn zusammenhängt, der 1959 bei den Filmfestspielen von Cannes zu einer ersten sichtbaren und höchst umstrittenenen Manifestation der „neuen Welle“ wurde. Insofern ist es beinahe folgerichtig, dass dieses erste Aufleuchten der Novuelle Vague auch zum Startpunkt des Filmes Godard trifft Truffaut – Deux de la vague wird.
Emmanuel Laurent konzentriert sich in seinem Film vor allem auf die Freundschaft der beiden Männer, deren Karriere am Anfang nahezu parallel verlief. Als „jeunes turques“ („junge Türken“) begeisterten sich Truffaut und Godard, die beide im Abstand von zwei Jahre im Alter von 21 Jahren bei den Cahiers du cinéma ihre Laufbahn als Filmkritiker begannen, für die gleiche Art von Filmen, schreiben Kolumnen und eher literarisch angehauchte Kritiken, die Meistern des Kinos wie Alfred Hitchcock huldigen. Als Truffaut schließlich als erster der beiden den Schritt von der journalistischen Theorie in die cinematographische Praxis wagt und mit Les 400 coups heftige Reaktionen auslöst, wird er alles dafür tun, seinen um auch seinen zwei Jahre älteren Weggefährten Jean-Luc Godard bei dessen Debüt als Regisseur zu unterstützen. Es ist sein Drehbuch, das Jean-Luc Godard unter dem Titel À bout de souffle / Außer Atem (1960) verfilmen wird. Und erst Truffaut setzte den Kollegen und Freund als Regisseur bei den Produzenten überhaupt durch. Der gemeinsame Wege des Erfolges währt dann allerdings nur kurz. Aufgerüttelt durch die Ereignisse des Mai 1968 radikalisierte sich Jean-Luc Godard zusehends, was schließlich zum Bruch mit François Truffaut führte. Wie in einer zerrütteten Ehe versuchten beide Kontrahenten, den Schauspieler Jean-Pierre Leaud (durch seine Rolle als Antoine Doinel das buchstäbliche „Kind der Nouvelle Vague“) auf ihre Seite zu ziehen und für ihre jeweiligen Ziele einzuspannen. Der Bruch, so heißt es in dem Film, markierte aber nicht nur das Ende einer Freundschaft, sondern auch eine Zäsur der Nouvelle Vague, der durch das Zerwürfnis „das Rückgrat gebrochen“ wurde.

Godard trifft Truffaut – Deux de la Vague ist ein überraschend gradlinig erzählter Film, der mittels ausführlichen Archivmaterials und anhand zahlreicher Filmausschnitte weitgehend chronologisch von der Geburt der Nouvelle Vague und deren Marsch durch die Institutionen erzählt. Die anfängliche Freundschaft und gegenseitige Unterstützung der beiden Filmkritiker und späteren Regisseure Jean-Luc Godard und François Truffaut bildet dabei das ideale Grundgerüst, um mittels der Lebenswege der beiden Männer die Geschichte einer cineastischen Bewegung auch als ganz persönliche Geschichte zu erzählen.

Trotz oder gerade wegen der ungeheuren Materialfülle, die Emmanuel Laurent und sein Drehbuchautor Antoine de Baecque aufgeboten haben, wirkt der Film oft wie eine bebilderte Vorlesung in Filmgeschichte, was angesichts des Hintergrundes von de Baecque als Filmhistoriker und früherer Chefredakteur der Cahiers du cinéma nicht wirklich verwundern kann. Die gewaltigen Mengen an Material sind auch dadurch zu erklären, dass de Baecque sowohl über Truffaut wie auch über Godard Biographien verfasste, die Maßstäbe gesetzt haben. Es besteht also kein Zweifel daran, dass Antoine de Baecque für einen Dokumentarfilm über Godard und Truffaut der richtige Mann ist, der Film beruht nicht nur auf seinem Skript, de Baecque wird durch seinen Off-Kommentar auch im gleichen Maße zur Stimme des Filmes, wie Laurents Regie das Auge repräsentiert.

Zugleich erweist sich die tiefe psychologische Durchdringung des Themas aber auch ein wenig als Pferdefuß des Films: Der manchmal etwas zu didaktische Tonfall der Off-Stimme verstärkt den durch die chronologische Aufarbeitung der Epoche vermittelten Eindruck noch, so dass der Film sich vor allem an all jene richtet, die sich beruflich oder zumindest als Cinephile mit dieser Epoche der Historie befassen. Gleichzeitig aber werden sie – wenn man einmal von dem Fokus auf die Freundschaft der beiden Regisseure absieht – kaum etwas durch den Film lernen, was sie nicht schon wissen. So ist und bleibt Godard trifft Truffaut – Deux de la Vague vor allem ein nostalgischer Rückblick auf eine Epoche, in der Filmgeschichte geschrieben wurde. Und – aus deutscher Sicht – ein neidvoller Blick auf eine Nation, in der das Kino schon immer einen ungleich höheren Stellenwert hatte als hierzulande. Rückschlüsse auf die Gegenwart des französischen Kinos hingegen sucht man (mit Ausnahme des recht unmotivierten Auftauchens von Isild Le Besco als erstaunter Leserin diverser Zeitungsartikel) vergebens – die historische Perspektive bleibt bis zum Schluss die bestimmende. Eine Erinnerungsarbeit an die ästhetischen und narrativen Neuerungen der Bewegung, die auch interessierten Neulingen der Materie einen Einblick in die spannende Epoche gegeben hätte, sucht man leider vergebens. Aber das hätte vermutlich den Rahmen des sowieso mit Informationen prall gefüllten Films gesprengt.

Godard trifft Truffaut - Deux de la Vague

Sie gelten als die beiden Protagonisten der „Nouvelle Vague“, die Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre als eine der Erneuerungsbewegungen des Films formal und inhaltlich, zum Teil revolutionäre Neuerungen in die erstarrte Welt des Kinos brachten.
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