Global Viral. Die Virus-Metapher

Eine Filmkritik von Paul Collmar

Anatomie eines Eindringlings

Was ist nur dran am Virus? Wo man auch hinschaut,verbreitet sich dieser rasant – und zwar nicht nur bei Infektionen, sondern auch als Eindringling in unsere Sprache, die den Computer-Virus ebenso kennt wie das virale Marketing. In Global Viral – Die Virus Metapher haben sich die beiden Hamburger Filmemacher Madeleine Dewald und Oliver Lammert (Vom Hirschkäfer zum Hakenkreuz) dem (Sprach)Phänomen der Virus-Invasion gewidmet und daraus einen klugen, aber recht sperrigen Essayfilm gedreht, der ebenso gut (oder vielleicht sogar noch besser) als Centerpiece eines Themenabends ins Programm des deutsch-französischen Kultursenders ARTE gepasst hätte.
Wenn heute von einem Virus gesprochen wird, meinen wir vor allem stets das Eine: einen Eindringling, der von einem Organismus, einem Körper, einem (großen) Ganzen Besitz ergreift, um dort eine symbiotische Beziehung mit dem „Wirt“ einzugehen. Dass das Virus zum Synonym einer allgegenwärtigen Bedrohung geworden ist, liegt auch an den Eigenschaften, die diesem Eindringling zugeschrieben werden bedrohlich und fremd scheint: Außerhalb eines Körpers nicht fortpflanzungsfähig, verfügt das Virus über eine geradezu unheimliche Intelligenz und Wandlungsfähigkeit, um sein Bestehen und die Vermehrung und Verbreitung zu sichern. Es ist eine unsichtbare Bedrohung, das absolute, das un(be)greifbare Böse.

Weil die Erscheinungsformen des Virus so vielschichtig sind, wählt auch der Film keine zielgerichtete Struktur, sondern assoziiert, montiert, springt Naheliegendes und weit Entferntes zu einem ebenso anregenden wie anstrengenden Teppich aus Etymologie, Medizin, Geschichte, Computer- und Kulturwissenschaften. Von Nosferatu zu Derek Jarman, von Naturkatastrophen wie Seuchen über die Geschichte der Volkshygiene bis hin zu modernem Cyberterrorismus, von religiösen Vorstellungen über die Philosophie bis hin zu den modernen Wissenschaften reicht der Bogen – nein, die Bögen, die Deckert und Lammert spannen, miteinander verknüpfen, gegeneinander laufen lassen und mit zahlreichen Interview-Statements versehen. Um jede Wendung, jeden neuen Gedanken mitzubekommen, muss man als Zuschauer schon höllisch aufpassen und aufgrund der vielen talking heads auch einiges an Geduld mitbringen, um den lose gesponnenen Faden nicht wieder zu verlieren.

Manchmal vermisst man dann doch genau das – einen roten Faden, der über die reine Metaphorik hinausgeht. Insgesamt erscheint Global Viral. Die Virus-Metapher wie eine gewaltige Materialsammlung, die eine stärkere Strukturierung und Kuratierung nötig gehabt hätte. Vielleicht vertraut sie aber auch daran, dass sich der rote Faden, die Schneise, die man sich durch diese inspirierende und verwirrende Sammlung schlagen muss, in den Köpfen der Zuschauer entsteht, dass die Bilder und Splitter, die Informationen und Metapher sich selbst wie ein Virus beim Publikum niederschlagen und dort einen Prozess der Erkenntnis in Bewegung setzen. Ob dafür allerdings ein einmaliges Anschauen reicht, ist zumindest fraglich. Hilfreich wäre es sicherlich auch, wenn zu dem überaus klugen, aber etwas zu theorielastigen Filmessay ein Buch erscheinen würde, das den Gedanken mehr Zeit gibt, sich entfalten zu können.

Global Viral. Die Virus-Metapher

Was ist nur dran am Virus? Wo man auch hinschaut,verbreitet sich dieser rasant – und zwar nicht nur bei Infektionen, sondern auch als Eindringling in unsere Sprache, die den Computer-Virus ebenso kennt wie das virale Marketing.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen