Giulias Verschwinden

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Die Unsichtbare

Ist man so alt, wie man sich fühlt? Oder so alt, wie man aussieht? Gute Frage, auf die es eigentlich keine vernünftige Antwort gibt. Denn älter werden wir nun mal alle, egal ob wir geistreich darüber sinnieren oder abgedroschene Sprüche klopfen. Da bleibt eigentlich nur, der traurigen Tatsache eine lustige Kehrseite abzutrotzen. Dem Film des Schweizers Christoph Schaub gelingt das leider nur bedingt. Selbst wenn eine ganze Riege namhafter Schauspieler dazu beigetragen hat, dass Giulias Verschwinden beim Filmfestival Locarno 2009 den Publikumspreis gewann.
Giulia (Corinna Harfouch) ist eine erfolgreiche, anspruchsvolle und selbstbewusste Frau, die sich noch vor keiner Herausforderung gedrückt hat – auch nicht vor ihrem 50. Geburtstag. Aber auf dem Weg zur Feier im kleinen, erlesenen Kreis eines Edelrestaurants geschehen merkwürdige, irgendwie magische Dinge. Die zwei Teenies im Bus scheinen junge Seelenverwandte von Giulia zu sein. Und auch die ältere Frau, die sich neben Giulia setzt, rührt eine tiefere Wurzel in ihr an. Dann fällt ein entscheidender Satz. „Wir sind unsichtbar“, sagt die vornehme Dame. Wir? „Wir Älteren“. Wen sie wohl damit meint. Doch nicht etwa die Generation 50plus? Um Giulia ist es jedenfalls geschehen. Denn unsichtbar zu sein – das ist ein gar zu hoher Preis für ein halbes Jahrhundert. Der Filmtitel verrät es, aber wir würden es auch so ahnen: Giulia wird diesen Abend anders verbringen, als bei ihren Freunden am Tisch zu sitzen.

Derweil schlagen die vergeblich wartenden Gäste die Zeit mit mehr oder minder gelungenem Small Talk tot. Die Dialoge drehen sich vor allem um das Eine – das Alter. Und das aus sehr vielen Blickwinkeln. Nichts wird ausgespart, die ganze Palette kommt auf den Tisch: das Gewicht, die Gesundheit, die komplette Ernährungslitanei vom Cholesterin über ungesättigte Fettsäuren bis hin zum Vegetarismus. Und dann selbstverständlich noch der Sport, der Sex und als Höhepunkt die Schönheitsoperation. Dem Erfolgsautor Martin Suter, der das Drehbuch geschrieben hat und derzeit auch mit Lila Lila im Kino ist, gelingen dabei nicht alle Dialoge. Manches ist witzig zugespitzt, anderes dagegen scheint mehr dem alltäglichen Small Talk abgelauscht. Dabei bekommt man auch allzu Vertrautes zu Ohren: „Ich habe keine Angst vor dem Tod, nur vor dem Sterben“, sagt einer der gelangweilten Tischgenossen.

Formal gelungen, aber inhaltlich wenig zwingend sind die beiden Parallelhandlungen, die das Thema aus der Sicht der ganz Jungen und der ganz Alten beleuchten. Da dürfen dann die Teenies ihre Angst vor dem 18. Geburtstag zum Besten geben – „nur noch zwei Jahre und du bist 20“. Und im Altersheim bekommt die anarchische Leonie (ein Lichtblick: Christine Schorn) zum 80. Geburtstag ein Hörbuch des Romans Der letzte Weynfeldt geschenkt. Von welchem Autor der wohl stammt? Richtig geraten: Martin Suter.

Gewiss, es gibt einige szenische Highlights wie den Aufruhr im Seniorenheim oder den furiosen Auftritt der gelifteten Alessia (Sunnyi Melles) und auch ein paar Dialoge der gewitzteren Art. Aber die Riege Schweizer und deutscher Top-Schauspieler – außer den Genannten unter anderem Bruno Ganz, André Jung und Stefan Kurt – bleibt unter ihren Möglichkeiten. Zu viele Filme wurden da in einen gepackt, zu viele Sichtweisen nebeneinandergestellt. Als Komödie ist der Film eher halbherzig, als Drama (Selbstreflexion und Aufbruch zu neuen Ufern) ein wenig zu vorhersehbar. Aber wenn man sich einmal alles anhören will, was aus verschiedenen Perspektiven zum Thema Alter gesagt werden kann, dann bekommt man es hier im 90-Minuten-Schnelldurchlauf.

Giulias Verschwinden

Ist man so alt, wie man sich fühlt? Oder so alt, wie man aussieht? Gute Frage, auf die es eigentlich keine vernünftige Antwort gibt. Denn älter werden wir nun mal alle, egal ob wir geistreich darüber sinnieren oder abgedroschene Sprüche klopfen. Da bleibt eigentlich nur, der traurigen Tatsache eine lustige Kehrseite abzutrotzen.
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Meinungen

rüdiger looff · 07.04.2022

Das Zusammenspiel Harfourch und Ganz ist einmalig