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Eine ermordete Hollywooddiva, eine Assistentin ohne Alibi und ein undurchsichtiger Detective – eigentlich der Stoff, aus dem Thriller sind. Was Aaron Katz mit Zoë Kravitz, Lola Kirke und John Cho in „Gemini“ daraus macht, ist irgendwie anders und typisch Katz.

Gemini (2017)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wie in einem Spiegel

Aaron Katz kommt aus Portland, Oregon. In Cold Weather (2010) ließ er in der alternativen Westküstenmetropole einen Sherlock-Holmes-Fan auf die Suche nach seiner verschwundenen Exfreundin gehen. In Land Ho! (2014) schickte er gemeinsam mit Koregisseurin Martha Stephens zwei ungleiche Rentner auf einen Roadtrip durch Island. Für seinen jüngsten Thriller ist er in seine neue Heimat Los Angeles gegangen. Und auch dieses Mal hält sich Katz nicht an Genreregeln, mischt munter Charakterstudien unter und erzeugt dadurch ganz eigenwillige, kaum erfassbare Schwingungen.

Wenn die Kamera in den ersten Minuten mit Heather Anderson (Zoë Kravitz) zu Jill LeBeau (Lola Kirke) ins Auto steigt, wirken die beiden Frauen wie beste Freundinnen. Blicke, Gesten, die Art und Weise, wie sie miteinander reden – all das lässt auf ein langes, enges Vertrauensverhältnis schließen. Ist es gar eine Liebesbeziehung? Ganz falsch ist dieser erste Eindruck nicht, aber eben auch nicht vollkommen richtig. Jill ist Heathers Assistentin, im Grunde also ihre Angestellte, aber eben auch ihr Kummerkasten in allen Lebenslagen. Und da ihre Chefin kneift, muss Jill dem Filmemacher Greg (Nelson Franklin) nun mitteilen, dass der Hollywoodstar draußen vor der Tür auf ihrem Beifahrersitz nicht bei seinem neuen Projekt dabei sein wird.

Die Chemie, von der in Texten über Filme so gern gesprochen wird, die zwischen den Schauspielern und die in einzelnen Szenen, bei Aaron Katz stimmt sie fast immer. Das hat viel mit dem Casting zu tun, aber eben auch mit seinen Drehbüchern, die das Alltägliche im Genre verankern. Oder eher umgekehrt: Katz erzählt Alltagsgeschichten, in die Situationen einbrechen, die einem Genrefilm entnommen sein könnten. Statt nur zu funktionieren, auf jede Aktion eine Reaktion folgen zu lassen, haben Katz‘ Charaktere Zeit umherzuschweifen, sich über die banalen Dinge des Lebens zu unterhalten, vor allem aber ihrem Gegenüber zuzuhören. Ein bisschen ist das wie bei Quentin Tarantino nur ohne die coole Attitüde und die Ironie, was das Ganze unglaublich erdet.

Auch Heather und Jill haben Zeit. Um den lästigen Paparazzo Stan und den aufdringlichen Superfan Sierra (Jessica Parker Kennedy) loszuwerden, ziehen sie durch die Klubs, treffen Heathers Geliebte Tracy (Greta Lee) und landen nach einem Abstecher in Jills Wohnung schließlich in Heathers Villa. Wie das für einen Thriller sein muss, geht die Sause für den Hollywoodstar nicht gut aus. Am folgenden Morgen liegt Heather erschossen in der Eingangshalle. Alle Indizien weisen in Richtung Jill. Und nachdem Katz das Verhältnis der beiden Frauen im Verlauf der Nacht immer weiter dekonstruiert hat, eine beinahe schon ungesunde Mischung aus tatsächlicher Zuneigung und Abhängigkeit offengelegt hat, zieht zu diesem Zeitpunkt auch das Publikum wie Detective Edward Ahn (John Cho) Jill als Täterin in Betracht. 

Doch Jill und das Drehbuch spielen das Spiel nicht mit. Die Verdächtige färbt sich kurzerhand die Haare, kauft sich eine lächerliche Verkleidung und ermittelt auf eigene Faust. Schließlich haben auch der versetzte Auteur Greg, Heathers aufgebrachte Agentin Jamie (Michelle Forbes) und Exfreund Devin (Reeve Carney) ein Motiv. Und dann war da noch Fan Sierra, die Heather zum Verwechseln ähnlich sieht.

Wer einen spannenden Thriller mit befriedigendem, weil haarklein aufgelöstem Ende erwartet, wird enttäuscht. Wie schon Cold Weather ist Gemini ein cleveres Spiel mit Genrekonventionen und -versatzstücken. Aaron Katz geht es mehr um die Beziehungen seiner Figuren als um die Lösung des Falls. Dabei zieht er das Unausgesprochene, ein Lesen zwischen den Zeilen, das Fabulieren seiner Zuschauer über das Gesehene eindeutigen Interpretationen vor. 

Nicht zuletzt geht es Katz um Stimmungen, die er abseits des Schauspiels und Keegan DeWitts klugem Musikmix aus jazzigen und elektronischen Klängen durch Farben und Symmetrien erzeugt. Dem Zwillingsmotiv des Titels entsprechend spiegeln sich Figuren, setzen sich Farbtöne von Kleidungsstücken in Gegenständen fort, steht eine von Palmen gesäumte Allee in der Eröffnungssequenz Kopf. Oder ist es eine Spiegelung in einer Windschutzscheibe? Cold Weather und Land Ho! erzählten von menschlicher Wärme in feuchten, nebligen Landschaften. Gemini spielt unter kalifornischer Sonne und transportiert in den exquisiten Einstellungen von Katz‘ Stammkameramann Andrew Reed doch nur die unterkühlte Zurückhaltung in Hollywoods Glitzerwelt.

Geminis Stimmung und sein nächtlicher Neonschimmer verweisen freilich auch auf ein L.A. des Film noir in all seinen Ausformungen – von den 1940ern bis heute. Katz selbst hat American Gigolo (1980), Bad Influence (1990) und den in Florida spielenden Body Heat (1981) als Vorbilder genannt. Sein Stil, der Einflüsse verschiedener Jahrzehnte zu einer merkwürdigen Melange mixt, die dennoch völlig eigenständig und gegenwärtig wirkt, erinnert wiederum an Robert Altmans The Long Goodbye (1973). Wie Elliott Gould als Philip Marlowe tappt auch Jill lange im Dunkeln und stolpert dabei durch prächtige, tatsächlich existierende und nicht eigens für den Film angefertigte Architektur. Und wie Altman entlässt auch Katz sein Publikum mit dem Schatten eines Zweifels.

Gemini (2017)

Jill LeBeau ist die persönliche Assistentin der aufstrebenden Schauspielerin Heather Anderson und bemüht sich, dieser alles an Unannehmlichkeiten abzunehmen, was nur geht. Doch dann liegt Heather eines Morgens erschossen in ihrem Haus — und Jill entdeckt anschließend düstere Abgründe in der Glitzerwelt Hollywoods.

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