Gardenia - Bevor der letzte Vorhang fällt

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Travestie und Lebenslust im Alter

In einem Alter, wenn sich andere zur Ruhe setzen, wagten sich ein paar Travestiekünstler auf große Welttournee durch 25 Länder. Zweieinhalb Jahre lang führten sie die gemeinsam improvisierte und von den Belgiern Alain Platel und Frank Van Laecke inszenierte Bühnenshow „Gardenia“ auf. Darin ließen sie ohne Dialoge die großen Themen ihres Lebens Revue passieren: geschlechtliche Identität, Verwandlung, Altwerden und die ewige Suche nach Liebe. Als sich die Tournee in Gent 2012 ihrem Ende nähert, dreht der deutsch-kanadische Regisseur Thomas Wallner einen Dokumentarfilm über die Show und sechs ihrer Performer.
Die Erzählungen der Homo- und Transsexuellen verdichten sich im Wechsel mit Ausschnitten aus „Gardenia“ zu einem bewegenden Werk, das mit seiner hervorragenden Montage auch ein ästhetischer Genuss ist. Im Anschluss an das Filmfest Hot Docs 2014 in Toronto, wo Bevor der letzte Vorhang fällt den Spezialpreis der Jury erhielt, begleiteten Wallner und vier der Protagonisten den Film zur Deutschlandpremiere auf das Dokumentarfilmfestival München.

Auf der Bühne tauschen die Darsteller ihre Männeranzüge gegen große Frauengarderobe, verkleiden sich als Liza Minnelli oder Marlene Dietrich. Spielerisch führen sie die Wahrheit des Spruchs, dass Kleider Leute machen, vor und stellen dabei die Wahrnehmung der Geschlechtszugehörigkeit permanent in Frage. Auch im wirklichen Leben lernten Andrea, Vanessa, Gerrit sowohl die Identität als Mann, als auch als Frau kennen. Andrea unterzog sich mit 45 einer Geschlechtsumwandlung zur Frau. Nun habe sie mehr Selbstvertrauen, sagt sie und kandidiert bei den Kommunalwahlen ihrer Stadt auf der Liste einer sozialistischen Partei. Vanessa, die das Konzept für „Gardenia“ entwickelte, erlebte ihre Umwandlung zur Frau schon mit 27 Jahren, aber ihr Glück wurde getrübt von gesellschaftlicher Ausgrenzung. Um die Operation abzubezahlen, musste sie als Prostitutierte arbeiten, was sie 13 Jahre lang tat. Aber schließlich fand sie wieder zum Theater zurück. Sie will sich überhaupt nicht mehr erinnern an die Zeit, als sie noch ein Junge war.

Gerrit nahm mit 18 Jahren Hormone und lebte 26 Jahre als Frau, ohne sich operieren zu lassen. Mittlerweile aber legt er sich nur noch auf der Bühne ein weibliches Outfit zu. Er findet, dass man innerlich sowieso immer derselbe bleibt. Auch in Bezug auf die Liebe unterscheidet sich Gerrit, der alte Möbel restauriert, von den meisten anderen: Er sehnt sich nicht nach einer Beziehung, sondern lebt nach einer Enttäuschung mit einem Mann seit 38 Jahren bewusst allein.

Der 68-jährige, schwule Danilo hat wie Vanessa seine Probleme mit dem Altwerden und der Erfahrung, sexuell nicht mehr so begehrt zu sein. Er sagt, „Gardenia“ sei geprägt von dieser Melancholie des Alleinseins wider Willen, das drei Viertel aller Homosexuellen im Alter erleben müssten. Der ehemalige Prostituierte, der jetzt im Bordell putzt, stellt sich pragmatisch darauf ein, seine Wünsche nach Liebe und Partnerschaft zurückzuschrauben. Richard hingegen, der auf der Kinderstation eines Krankenhauses arbeitet und die Bühne zum Ausgleich braucht, hofft, dass sein chinesischer Freund bald wieder bei ihm einzieht. Der 70-jährige Rudy hat nach drei langen Beziehungen zu Männern den Mut zu einer weiteren verloren.

Wallner filmt die Protagonisten in ihren eigenen vier Wänden, lässt sich alte Fotos zeigen. Allmählich vertiefen sich die Bezüge der individuellen Biografien zu den dazwischengeschnittenen Szenen der Bühnenshow. Die Kamera mischt sich auf der Bühne unter die Darsteller, umkreist sie mit fließenden, zur Musik passenden Bewegungen. Maurice Ravels „Bolero“ erklingt nicht nur während der Show, sondern bildet auch die Klammer zu den Besuchen ins Privatleben. Die schwelgerischen Aufnahmen sind vom Abschiednehmen geprägt, vom Wunsch, das Beste festzuhalten. Wären seine Protagonisten nicht echt, könnte man sich Bevor der letzte Vorhang fällt mit seiner emotionalen Tiefe und der spannenden Dramaturgie auch als schönen Spielfilm vorstellen.

Gardenia - Bevor der letzte Vorhang fällt

In einem Alter, wenn sich andere zur Ruhe setzen, wagten sich ein paar Travestiekünstler auf große Welttournee durch 25 Länder. Zweieinhalb Jahre lang führten sie die gemeinsam improvisierte und von den Belgiern Alain Platel und Frank Van Laecke inszenierte Bühnenshow „Gardenia“ auf. Darin ließen sie ohne Dialoge die großen Themen ihres Lebens Revue passieren: geschlechtliche Identität, Verwandlung, Altwerden und die ewige Suche nach Liebe.
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Meinungen

Rüdiger trautsch · 05.01.2015

Mich hatte der Film "Gardenia" unerwartet stark berührt, ich wußte bereits nachdem ich nur den Trailer vorab gesehen hatte, dass ich eine der Rollen auf der Bühne ebenfalls in der Gemeinschaft, sofort gespielt hätte ! Ein für mich seltener Impuls wurde berührt.....

Ich möchte wissen, ob es "Gardenia" auf DVD zu erwerben ist und wenn, wann ?
Besten Gruß, Rüdiger Tautsch