Fremd wie ein Fisch

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Samstag, 18. Dezember 2010, ARTE, 21:45 Uhr

Eigentlich hat er sein altes Leben längst hinter sich gelassen und sich ein neues aufgebaut: Seit zehn Jahren lebt der aus Chile stammende Andrés (Santiago Cabrera) schon in Berlin und arbeitet als Reisejournalist, was ihn immer wieder auf ausgedehnte Reisen führt. Nun ist er für einen Aufenthalt in seine Heimat zurückgekehrt, um endgültig Abschied zu nehmen. Am letzten Abend seiner Reise, die (selbstverständlich unausgesprochen) eine Art finales Wiedersehen mit seinen alten Freunden und Verwandten bedeutet, besucht Andrés die Party eines Freundes, der im Haus seiner Eltern seinen Geburtstag feiert. Es ist einer jener magischen Abende zwischen Erinnerungen und der sanften Wehmut des Abschieds, die ihn dort umfängt – in den Gesprächen mit den früheren Vertrauten und Freunden entwickelt sich Schritt für Schritt das Kaleidoskop eines unsteten Lebens. Als Andrés schließlich noch auf seine Jugendliebe Beatrize (Blanca Lewin) trifft, wird aus der Nachdenklichkeit, die den ganzen Abend prägt, bittere Melancholie angesichts eines Lebens, das zwar nicht schlecht ist, das aber anders hätte sein können. Nun ist es aber zu spät – oder doch nicht?
Eine Party, deren Verlauf die Kamera beinahe in Realzeit nachbildet, Gespräche, Blicke, lange Gänge durch ein Haus – manchmal braucht es sehr wenig für einen gelungenen Film. Dass die (selbst auferlegte) Beschränkung der filmischen Mittel bisweilen Werke von bemerkenswerter Dichte und Intensität hervorbingt, weiß man nicht erst seit den geglückteren Filmen der DOGMA95-Bewegung, als deren Bruder im Geiste man Bize durchaus betrachten kann. Zum Glück treibt Bize die Selbstkasteiung aber nicht so weit wie seine skandinavischen Kollegen, folgt er doch keinem kruden Codex, sondern eher seinem Instinkt für Szenen und Stoffe von großer Nähe und Intensität. Unterstützt von ausgezeichneten Darstellern und einer Kamera, die immer wieder die Nähe der Personen sucht (und findet), entfaltet Bize in La vida de los pesces ein Seelenpanorama voller berührender Momente über verpasste Gelegenheiten, fragile Hoffnungen, über Freundschaft und Abschied und die oftmals vergebliche Suche nach dem Glück.

La vida de los pesces ist der mittlerweile fünfte Film von Matías Bize und so langsam scheint sich der Chilene in den höheren Etagen des internationalen Arthouse-Films einzurichten. Sein neuster Film eröffnete das Filmfestival von Mannheim-Heidelberg (wo sein erster Film Sabádo – Das Hochzeitstape aus dem Jahre 2003 mit dem Rainer-Werner-Fassbinder Preis ausgezeichnet wurde). Viel wichtiger noch dürfte die Tatsache wiegen, dass La vida de los pesces in diesem Jahr von Chile ins Rennen um den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film geschickt wurde. Ob das Kammerspiel Chancen bei der Preisverleihung hat, ist angesichts des letztjährigen Academy Awards an In ihren Augen / El secreto de sus ojos zwar eher fraglich. An der Qualität dieses bemerkenswerten Films ändert das aber rein gar nichts.

Fremd wie ein Fisch

Eigentlich hat er sein altes Leben längst hinter sich gelassen und sich ein neues aufgebaut: Seit zehn Jahren lebt der aus Chile stammende Andrés (Santiago Cabrera) schon in Berlin und arbeitet als Reisejournalist, was ihn immer wieder auf ausgedehnte Reisen führt.
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