Free Fire

Shootout im Kriechen

Die Idee klingt irgendwie reizvoll: Man caste eine Reihe hochkarätiger Stars – und lasse sie nach kurzer Exposition über eine Stunde lang höchst ungraziös auf dem Boden herumkriechen, schießen und fluchen. Wenn diese Idee von einem Filmemacher wie Ben Wheatley umgesetzt wird, können dafür Leute wie Cillian Murphy, Brie Larson und Sam Riley sowie Martin Scorsese als ausführender Produzent gewonnen werden. So ist ein schnörkelloses Genrestück entstanden, dessen Minimalismus in einem diametralen Gegensatz zu Wheatleys überbordendem Vorgängerwerk High-Rise steht. Abgesehen von der inhaltlichen sowie formalen Kehrtwende hat Free Fire allerdings keine Überraschungen zu bieten – und ebenso keine interessanten Figuren, keine innere oder äußere Spannung und keinen visuellen oder verbalen Humor, den man heute noch als originell oder gar subversiv bezeichnen könnte.
Die Geschichte spielt in Massachusetts in den 1970er Jahren. Justine (Brie Larson) hat ein Treffen zwischen den IRA-Mitgliedern Chris (Cillian Murphy) und Frank (Michael Smiley) und den Waffenhändlern Vernon (Sharlto Copley) und Martin (Babou Ceesay) in einem stillgelegten Fabrikgebäude arrangiert. Anwesend sind überdies der Mittelsmann Ord (Armie Hammer) sowie vier Handlanger: Bernie (Enzo Cilenti) und Stevo (Sam Riley) für die beiden Iren sowie Harry (Jack Reynor) und Gordon (Noah Taylor) für die Gegenseite. Der Deal droht zu scheitern, da Vernon und Martin nicht die gewünschten Waffen liefern – dennoch kann eine Einigung erzielt werden. Eine private Auseinandersetzung zwischen Harry und Stevo führt jedoch dazu, dass ein erster Schuss fällt – woraus sich eine langwierige Schießerei ergibt, die für alle Beteiligten zum Überlebenskampf wird.

„I forgot whose side I’m on!“, ruft eine Figur an einer Stelle – und als Zuschauer_in geht es einem zuweilen ähnlich: Wer hier auf wen schießt und welche Gründe es dafür gibt, ist ab einem gewissen Punkt ziemlich unerheblich. Dies wäre zu verschmerzen, wenn es sich bei den Schießenden um sympathische oder – noch besser – um ausgefallen-unsympathische Persönlichkeiten handeln würde, die in irgendeiner Weise für sich einzunehmen wüssten. Dies ist aber nicht der Fall. Mit Justine und Chris – den beiden Figuren, die am ehesten zur Identifikation einladen und ganz am Rande den Grundstein zu einer pragmatischen Arbeitsplatzromanze zu legen versuchen – weiß das Drehbuch von Wheatley und Amy Jump recht wenig anzufangen. Armie Hammer, Sharlto Copley, Sam Riley und Jack Reynor dürfen sich in ihren Parts zwar deutlich mehr austoben; dennoch geht die Exzentrik ihrer Rollen nie über das hinaus, was man schon aus etlichen anderen Gangsterfilmen kennt. Es finden sich ein paar hübsch-amüsante Ansätze – bei Vernon wurde zum Beispiel im Kindesalter fälschlicherweise eine Hochbegabung diagnostiziert, worüber er niemals hinwegkam –; aus diesen Einfällen wird indes kaum etwas gemacht. Die meisten one-liner wirken bemüht; die Kombination aus Schreien und Jammern, Prügeln, Schießen und Kitzeln (!) offeriert Kurzweil, bricht jedoch zu keiner Sekunde mit den Genrekonventionen. Wenn die Performance von Männlichkeit (vor allem mittels Waffen) vorgeführt und dekonstruiert wird und die Schießerei zur drastisch-hysterischen Splatter-Orgie ausartet, ist das nichts, was man nicht von vornherein erwartet hätte. Selbst die Frage, welche Figur im Endeffekt triumphieren wird, dürfte sich vermutlich schon beim Lesen der knappen Inhaltsangabe oder spätestens nach fünf Filmminuten beantwortet haben. High-Rise oder auch Wheatleys schwarze Roadmovie-Komödie Sightseers wimmelten von Momenten der Irritation und Verblüffung; in Free Fire gibt es davon keinen einzigen. Damit erreicht das Werk weder die Wucht von Klassikern aus den 1970er Jahren (etwa von Sam Peckinpah), die augenscheinlich als Vorbilder dienten, noch den Witz des 1990er-Jahre-Zitatekinos (insbesondere von Quentin Tarantino), an das man unweigerlich denken muss.

Die gelungene Verwendung von Musik hat Wheatley wiederum in seiner Arbeit beibehalten; am eindrücklichsten ist der kontrapunktisch gesetzte Country-Hit „Annie’s Song“ von John Denver. Auch die Choreografie der Actionsequenzen in der Kulisse einer ehemaligen Regenschirmfabrik sowie die Farbgebung der Aufnahmen, die Auswahl der betont scheußlichen Seventies-Kostüme und das Produktionsdesign lassen Könnerschaft erkennen. Ein leichtes Untergraben der etablierten Dramaturgie und Ästhetik sowie eine größere Sorgfalt bei der Figurenzeichnung und den Dialogen wären indessen nötig gewesen, um aus Free Fire mehr als einen solide gefertigten Genrebeitrag zu machen.

(Festivalkritik BFI London 2016 von Andreas Köhnemann)

Free Fire

Die Idee klingt irgendwie reizvoll: Man caste eine Reihe hochkarätiger Stars – und lasse sie nach kurzer Exposition über eine Stunde lang höchst ungraziös auf dem Boden herumkriechen, schießen und fluchen. Wenn diese Idee von einem Filmemacher wie Ben Wheatley umgesetzt wird, können dafür Leute wie Cillian Murphy, Brie Larson und Sam Riley sowie Martin Scorsese als ausführender Produzent gewonnen werden.
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