Ephraim und das Lamm

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Versprechen an die Zukunft

Weltpremieren sind beim Filmfestival von Cannes wahrlich nichts Neues; vielmehr lebt das Festival wie viele andere auch von genau dieser Exklusivität und dem Ruf, dass man dort Filme von einiger Wichtigkeit zum ersten Mal zu Gesicht zu bekommt. Und dennoch stellte Yared Zelekes Film Ephraim und das Lamm, der 2015 in der Sektion Un Certain Regard zu sehen war, eine absolute Ausnahme dar. Denn Ephraim und das Lamm ist der erste äthiopische Spielfilm, der jemals an die Croisette eingeladen wurde. Schon allein deswegen hatte man das Gefühl, bei der Vorführung einen ganz besonderen Moment zu erleben – wann kann man schon der Geburtsstunde einer neuen Stimme im Chor der nationalen Kinematographien beiwohnen?

Bereits der deutsche Titel (der internationale Lamb verkürzt den Fokus dann doch etwas zu sehr) deutet bereits an, dass hier eine Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Tier im Mittelpunkt steht. Ephraim (Rediat Amare) ist neun Jahre alt, ein aufgeweckter Junge, der von seinem Vater zu Verwandten ins Hochland gebracht wird, um der Dürre in den Ebenen Äthiopiens zu entkommen. Auf diesen beschwerlichen Weg in die Fremde nimmt der Junge sein Lamm Chuni mit, das ihn stets überall hin begleitet. Doch natürlich weckt das Tier im bitterarmen Land Begehrlichkeiten und so soll Ephraim das Tier hergeben, um es zum Fest des Heiligen Kreuzes zu opfern. Klar, dass der Junge dem nicht zustimmen kann. Und so plant er, sich ganz allein mit seinem tierischen Freund auf den Weg nach Hause zu machen. Für ein Kind seines Alters ist das ein gewaltiges Abenteuer. Außerdem muss er sich zuerst das Geld verdienen, um die beschwerliche Reise überhaupt antreten zu können. Doch zum Glück verfügt Ephraim – ungewöhnlich genug für einen Jungen seines Alters und erst recht in Äthiopien – über ein seltenes Talent: Er versteht es zu kochen wie kein zweiter und zaubert wie ein kleiner Magier aus fast nichts wunderbare kleine Leckereien, die er auf dem Markt verkauft.

Obgleich der Held dieses Films ein Kind ist und ein süßes Tier eine wichtige Rolle spielt, richtet sich Ephraim und das Lamm keineswegs an Kinder – wobei auch die einiges von diesem Film lernen können. In seiner sehr speziellen Mischung aus Zeitlosigkeit und Zeithaftigkeit, aus Universalität (die Geschichte könnte mit gewissen Detailveränderungen überall auf der Welt spielen) und genauem Blick auf die Lebensumstände in Äthiopien und nicht zuletzt durch die Kombination von Märchenhaftem und nüchternem Realismus bedient Yared Zelekes Film viele Zuschauerschichten von klein bis groß. Dennoch macht der Film nicht den Fehler, seine Geschichte mit klebrigem Feelgood-Süßstoff zu verfälschen, sondern schaut genau hin.

Obwohl Yared Zeleke sein filmisches Handwerk in den USA erlernte, steht er deutlich spürbar in der afrikanische Erzähltradition – und die erfordert zumindest am Anfang einiges an Gewöhnung. Der langsame Rhythmus, mit dem der Film beginnt und den er bis zum Ende beibehält, mag manchem mit amerikanischen Sehgewohnheiten sozialisierten Zuschauer wie eine Geduldsprobe erscheinen, zugleich aber entstehen gerade durch diese bedächtige Herangehensweise quasi im Subtext der eigentlichen Geschichte Miniaturen, die viel über die Lebensumstände in Äthiopien erzählen: Die tiefe Religiösität der Menschen, irgendwo zwischen Christentum und afrikanischer Magie verortet, spürt man dort ebenso sehr wie die Spezifika des Wirtschaftens, die Gegensätze zwischen dem Leben auf dem Land und in der Stadt, die Mechanismen des Zusammenlebens und die Rollenzuschreibungen, denen sich Ephraim ebenso zu entziehen versteht wie seine Freundin Tsion. Diese beiden Kinder stehen deshalb auch symbolhaft für ein Versprechen an die Zukunft – dass Äthiopien und ganz Afrika sich gerade in einer Phase des Umbruchs befinden, in der die junge Generation mit den Traditionen der Alten bewusst brechen wird, um ihren eigenen Weg zu finden. Auch wenn es aus europäischer Sicht wie eine Selbstverständlichkeit anmuten mag: Für ein Land wie Äthiopien und einen Jungen wie Ephraim ist das ein gewaltiges Wagnis. Und vielleicht ist dies ja das eigentliche Abenteuer, von dem der Film erzählt.
 

Ephraim und das Lamm

Weltpremieren sind beim Filmfestival von Cannes wahrlich nichts Neues; vielmehr lebt das Festival wie viele andere auch von genau dieser Exklusivität und dem Ruf, dass man dort Filme von einiger Wichtigkeit zum ersten Mal zu Gesicht zu bekommt. Und dennoch stellte Yared Zelekes Film „Ephraim und das Lamm“, der 2015 in der Sektion „Un Certain Regard“ zu sehen war, eine absolute Ausnahme dar.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen