El Viaje - Ein Musikfilm mit Rodrigo Gonzalez

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Ungezähmte Betrachtungen

Als sich der Musiker Rodrigo Gonzáles – zuvorderst bekannt als markantes, vielseitiges Mitglied der Punkrockband Die Ärzte – dazu entschließt, nach über vierzig Jahren sein Geburtsland Chile zu besuchen, lässt er diese Reise audiovisuell begleiten. Entstanden ist daraus ein Road-Movie-Dokumentarfilm ganz persönlicher und doch soziopolitischer Sorte, der auch nach den Zusammenhängen von Poesie als Widerstand, systemkritischer Musik und Exilerfahrungen fahndet. El Viaje – Ein Musikfilm mit Rodrigo Gonzalez ist ein Film, der sich in unspektakulärer, narrativer Manier auf die Spuren der Nueva Canción Chilena begibt, deren dynamische, tapfere und tröstliche Wirkungskraft eine tragende Säule innerhalb des Widerstands gegen die grausame Diktatur Augusto Pinochets in Chile bildete – und darüber hinaus eine tönende Anklage aller repressiven, inhumanen Regime darstellt.
Um seine Erinnerungen – die sicherlich auch durch Familienerzählungen überlagert sind – mit der Realität abzugleichen, wolle er nach Chile reisen, erklärt Rodrigo González zu Beginn des Films. In der Hafenstadt Valparaíso geboren und aufgewachsen, war er sechs Jahre alt, als seine Familie auf der Flucht vor den verheerenden Folgen und Verfolgungen des Militärputsches im Lande 1974 nach Deutschland ins Exil floh. Doch diese Motivation, die längst ersehnte Reise in die einstige Heimat anzutreten, wird von einer zusätzlichen, bedeutsamen Mission flankiert: Es ist die nachhaltig präsente, prägende Musik seiner Kindheit, ja seines gesamten Lebenswegs, die Rodrigo González direkt in Chile anhand von Begegnungen mit den originären Protagonisten und ihren Nachfolger_innen aufzuspüren und aufzuzeichnen gedenkt. Ein vorheriger Besuch bei seinem Vater in Deutschland als Auftakt seiner Nachforschungen zeigt das Ausmaß der Bedeutung dieser Musik für die Familie. Hier beginnt bereits die gleichermaßen schlichte wie bewegende Praxis, die sich im Film immer wieder fortsetzt, wenn der Vater das berühmte Manifiesto von Víctor Jara intoniert, der von den Schergen Pinochets gefoltert und ermordet wurde und mit diesem Lied den kuriosen Begriff der „arbeitsamen Gitarre“ geprägt hat – guitarra trabajadora.

Angekommen in Chile sind es die Kontakte mit den örtlichen Musikern in der Tradition der Nueva Canción, des politischen Liedes, das ab den 1950er Jahren in Lateinamerika entstand, an denen sich der klangvolle Reisebericht von El Viaje entlanghangelt. Rodrigo González trifft sich mit Urgesteinen wie Aldo „Macha“ Asenjo von Chico Trujillo, mit Chinoy, der in seinem Geburtsort Valparaíso lebt, mit der jungen Sängerin Camila Moreno, die gern mit der Künstlerin Violeta Parra (Gracias a la vida) verglichen wird, räsoniert mit Quilapayún-Legende Eduardo Carrasco über Exilerfahrungen und besucht mit Eduardo Yáñez das berüchtigte Estadio Nacional de Chile, in dem der Musiker 1973 mit Tausenden anderen Putschgegnern inhaftiert und gefoltert wurde. Und stets sind es die ganz besonderen politischen Töne, Klänge und Lieder, die in diesen Begegnungen aufleben und in spontanen kleinen Sessions würdig zelebriert werden.

Ohne Pathos, ohne Schnörkel und mit seiner schlicht authentisch anmutenden Art bewegt sich Rodrigo González durch das Land seiner frühen Kindheit und konzentriert sich auch dort auf die mutigen musikalischen Ausprägungen einer schöngeistigen Widerstandsbewegung, wo die schwerlastigen Themen der Diktatur, des Exils, der Folter und des Mordes ihre schwelenden Schatten werfen. Naheliegende Diskurse im Zusammenhang mit historisch bedeutsamen Schlüsselfiguren wie Salvador Allende und Víctor Jara oder gar Augusto Pinochet erhalten kaum Raum zugunsten der unmittelbaren Berührung mit dem Leben und Schaffen der Musiker im Hier und Jetzt vor dem Hintergrund der Geschichte einer künstlerischen Protestbewegung, deren Notwendigkeit auch reichlich aktuelle Anlässe findet, in Chile und anderswo.

Dass und wie derartige Einflüsse den Musiker Rodrigo González im Einzelnen entscheidend geprägt haben, lässt sich sicherlich nicht leichtgängig anhand seiner Ärzte-Ausrichtung und -Laufbahn identifizieren. El Viaje stellt somit weniger ein Porträt seines reisenden Akteurs dar als vielmehr eine unkonventionelle, unmittelbare und theoretisch ungezähmte Betrachtung einer wirkungsmächtigen Musikrichtung, die auch durch das Exil ihrer Protagonisten lebendig bleiben konnte, etliche Todesopfer zu beklagen hat und dennoch eine ebenso dynamische wie weltweit erfolgreiche Entwicklung durchlaufen hat. Die persönlichen wie professionellen Erkenntnisse, die Rodrigo González während seiner Reise gewonnen hat, verbleiben weitgehend in seinen Gedanken und Empfindungen, so dass dieser Dokumentarfilm sich schlichtweg bestimmten Schlüssen und Antworten verweigert – nicht aber seine Stimmungen, Bilder und Lieder, die ihre ganz eigene, direktive bis kryptische Sprache transportieren.

El Viaje - Ein Musikfilm mit Rodrigo Gonzalez

Als sich der Musiker Rodrigo Gonzáles – zuvorderst bekannt als markantes, vielseitiges Mitglied der Punkrockband „Die Ärzte“ – dazu entschließt, nach über vierzig Jahren sein Geburtsland Chile zu besuchen, lässt er diese Reise audiovisuell begleiten. Entstanden ist daraus ein Road-Movie-Dokumentarfilm ganz persönlicher und doch soziopolitischer Sorte, der auch nach den Zusammenhängen von Poesie als Widerstand, systemkritischer Musik und Exilerfahrungen fahndet.
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